Die erste Stunde von LICHT INS DUNKEL

Kurt Bergmann, der Gründer von LICHT INS DUNKEL, erinnert sich an die Anfänge der Hilfsaktion.
Es war ein paar Wochen vor Weihnachten des Jahres 1973, da wollten wir im Landesstudio Niederösterreich wieder einmal etwas Neues machen. Sonntagsmessen wurden im Radio seit Erfindung dieses Mediums übertragen. Aber noch nie hatte jemand versucht, eine moderne Sonntagsmesse aus einer Behinderteneinrichtung zu übertragen, an der behinderte Jugendliche selber mitwirkten. Vom musikalisch sehr ambitionierten Chefredakteur des Studios Ernst Exner kam der Tipp, dass es im Behindertendorf in Sollenau jeden Sonntag so eine Messe gäbe. Die wollten wir uns ansehen, das Musizieren und das Singen hören, die technischen Möglichkeiten überprüfen, die Betreuer und die Betreuten kennen lernen.
LICHT INS DUNKEL in Einfacher Sprache
Die Vereinsgeschichte barrierefrei nachzulesen
Das Dorf war erst halb fertig. Sein Gründer und Direktor der Sonderschule Paulusgasse in Wien, Karl Ryker, führte uns mit Stolz, aber auch mit Bedrücktheit durch diese seine Musteranlage. Die Sorgen waren groß, aber die Stimmung, die hat uns beeindruckt. Da wussten ein paar Menschen, dass sie etwas Großartiges leisteten, und sie taten es mit Herzblut. Ich fragte Karl Ryker: „Wenn jetzt eine gute Fee in diesen Raum käme und ihnen drei Wünsche erfüllen möchte, was würden Sie wählen?“ Ryker ganz trocken: „Geld, Geld und nochmals Geld.“ Mit diesem „Auftrag“ fuhren wir nach Hause, ohne gleich zu wissen, dass es ein Auftrag war.

Aufbau Karl Ryker-Dorf in Sollenau 1972

1970 – Aufbau des Karl-Ryker-Dorfes in einer Landschaft. Zu sehen sind ein Kran und fünf Arbeiter auf den Grundmauern des Dorfes. Schwarz-weiß-Fotografie Lebenshilfe Niederösterreich
1970 – Aufbau des Karl-Ryker-Dorfes in einer Landschaft. Zu sehen sind ein Kran und fünf Arbeiter auf den Grundmauern des Dorfes.
1971 – Aufbau der Sollenau Wohnhäuser. Zu sehen ist eine Baustelle mit einem fertiggestellten Wohnhaus und einem im Bau befindlichen Wohnhaus. Auf der Baustelle befinden sich auch noch Materialien wie Rohre und Leitern und zwei Anhängern, die für die Fertigstellung benötigt werden. Schwarz-weiß-Fotografie Lebenshilfe Niederösterreich
1971 – Aufbau der Sollenau Wohnhäuser. Zu sehen ist eine Baustelle mit einem fertiggestellten Wohnhaus und einem in Bau befindlichen Wohnhaus. Auf der Baustelle befinden sich auch noch Materialien wie Rohre und Leitern und zwei Anhänger, die für die Fertigstellung benötigt werden.
1971 – Aufbau der Sollenau Wohnhäuser. Zu sehen sind drei fertiggestellte Wohnhäuser, davor vier Arbeiter. Zwei räumen gerade Ziegel weg, einer schiebt eine Scheibtruhe und der vierte begutachtet die Situation. Schwarz-weiß-Fotografie Lebenshilfe Niederösterreich
1971 – Aufbau der Sollenau Wohnhäuser. Zu sehen sind drei fertiggestellte Wohnhäuser, davor vier Arbeiter. Zwei räumen gerade Ziegel weg, einer schiebt eine Scheibtruhe und der vierte begutachtet die Situation.
2019 – Das Karl-Ryker-Dorf nach der Modernisierung. Zu sehen ist ein Bild des Modells mit Bäumen vor dem weiß-grauen Zentrum und im Hintergrund viele weiße Wohnhäuser. Farbbild Lebenshilfe Niederösterreich
2019 – Das Karl-Ryker-Dorf nach der Modernisierung. Zu sehen ist ein Bild des Modells mit Bäumen vor dem weiß-grauen Zentrum und im Hintergrund viele weiße Wohnhäuser.
Am 24. Dezember 1973 moderierte ich das Nachmittagsmagazin von 16.00 bis 17.00 Uhr, live aus der Argentinierstraße in Wien. Bei den Vorbereitungen erinnerte ich mich an unseren Besuch im Behindertendorf Sollenau und an den Feenwunsch des Leiters: „Geld!“ Ein paar Beiträge in der Länge von zwei bis drei Minuten, die über das Dorf informieren sollten, eine zur Stimmung des Tages passende Musik und die immer wiederkehrende Bitte zu spenden: das waren die Bestandteile dieser ersten Sendung, die – wie wir erst sehr viel später wissen sollten – die Geburtsstunde für eine in Europa einzigartige Hilfsorganisation war. Nach den Nachrichten stellte ich das Projekt vor und ersuchte alle, die an diesem Heiligen Abend noch etwas Besonderes tun wollten, bei uns anzurufen, Namen und Adresse zu sagen und einen Betrag zu nennen. Nach den Feiertagen würden wir dann einen Erlagschein zuschicken, den jeder auf dem nächsten Postamt einzahlen könne. Unser Unternehmen war mehr als naiv. Keiner wusste damals, wie viele Menschen uns zuhören würden und ob so ein Aufruf an diesem Tag überhaupt noch Reaktion auslösen würde.

Pflicht der Gesellschaft, etwas für diejenigen zu tun, denen es nicht so gut geht

Das Telefon am Regieplatz schlug sofort an. Zehn, zwanzig, manchmal auch fünfzig Schilling wurden zugesagt. Das Telefon lief heiß (Anm.: seine Söhne, die ihn an diesem Tag ins Studio begleiten durften, wurden kurzerhand an ein zweites Telefon gesetzt und notierten die Daten der Spender/innen).
Die Aktion war ein voller Erfolg – 33.854 Schilling (2.400 Euro) kamen 1973 in dieser knappen Radiostunde im Lokalprogramm des Landesstudios zusammen! Wir fühlten uns großartig. Vor lauter Begeisterung verdoppelten wir im nächsten Jahr die Sendezeit auf zwei Stunden und der Erfolg war ein dreifacher: 100.400 Schilling Spenden.
Ernst Wolfram Marboe, der Literaturchef des Studios und seit vielen Jahren mein Freund, war gleichfalls mit seinen Kindern ins Studio gekommen. Als „Telefonisten“ unterstützten uns vom Start weg Maria Walter und Tina Kucera aus Sollenau. Wir hatten kein zusätzliches ORF-Personal, keine zusätzliche Technik, dafür aber eine umsichtige Dame in der Telefonzentrale, die die Anrufe an die entlegensten Apparate des Hauses weiterleitete.
Wurde anfangs noch jeder Erlagschein händisch ausgefüllt, macht das heute längst der Computer. Musste damals jeder Name, jede Anschrift exakt aufgeschrieben – manchmal mühsam buchstabiert – werden, so zeigt heute das Display fast alles auf und muss nur mehr hinterfragt und vom Anrufer bestätigt werden. Trotz des technischen Wandels ist das System seit der ersten Stunde immer dasselbe geblieben: anrufen, Name und Adresse angeben, Spenden ansagen, Erlagschein erhalten, bei der Post einzahlen – Danke!

Spendenzweck der ersten Stunde: Das Behindertendorf Sollenau

1972 wurden einige Rohbauten im künftigen Behindertendorf Sollenau fertig. Geld war knapp, das Grundstück - die sogenannten Böhlergründe des ehemaligen Motorenwerkes - wurde von der Gemeinde billig zur Verfügung gestellt.
„Ich bin völlig überzeugt, dass es ohne Sollenau LICHT INS DUNKEL nicht gegeben hätte. Denn Spenden sammeln, das ist eines, aber Geld sinnvoll ausgeben, etwas anderes. Das Projekt Sollenau war eine Pionierleistung, von Anfang an überzeugend, der Einsatz der Mittel war anhand des Baufortschritts sichtbar und kontrollierbar. Die Spenden der ersten Jahre sind daher dieser Einrichtung zugutegekommen.“ (Kurt Bergmann)
Quelle: Ausschnitt aus „Mein LICHT INS DUNKEL Buch“ von Kurt Bergmann, 2002

Link: