Warum ich Sonderschullehrerin geworden bin

Katalin Darthe
Die Türschnalle vom Klo hat einer eingetreten. Mit dem Fuß, um zu zeigen, wie stark er ist. Und dann ist sie abgebrochen und war kaputt. Eine Mordsaufregung bei der Schulleitung. Ersetzt muss das werden und ich soll umgehend die Eltern verständigen. Wir setzten uns zusammen. Die ganze Klasse im Kreis. Wie eigentlich immer, wenn es Probleme gibt. “Ned die Ötan!” hat er zu mir gemeint, in der Pause und ich ahne, warum. “Göd hob i kans, oba i kann scho ans aufstölln!”, meint er, und genau das gilt es für mich, zu verhindern. Wir reden, und irgendwie taucht die Idee auf, wenn sechzehn Kinder und eine Lehrerin einen kleinen Anteil zahlen, muss nicht einer, - auch wenn er ja allein daran schuld ist, soviel zahlen. Und das ist eine tolle Idee. Am nächsten Tag sammeln sich Schillinge -(so hieß das Geld damals )-, auf meinem Tisch. Ich stocke den Rest auf, und als ich die vielen stolzen Augen und das erleichterte Lächeln des Täters sehe, weiß ich wieder einmal ganz genau, warum ich Sonderschullehrerin werden wollte....
“Kati, i hob schene Zähne! Schau hea, i hob mas mochn lossn!” sagt der erwachsene Mann zu mir. “Und des host du ma beibrocht!” Ja, wir sind am Nachmittag zum Zahnarzt gefahren. Ein ganzer Schwung von Kindern, die in ihrem ganzen Leben noch nie Zähne geputzt haben, geschweige denn, wissen, was ein Zahnarzt ist. Die Eltern haben eingewilligt. Na klar, - eine Verantwortung, die sie nicht tragen wollen, tragen können, weil sie es selbst nie so gelernt haben. - Wenn sich die verrückte Lehrerin das einbildet, soll sie nur machen. Die Hauptsache, es kostet nichts! Und dann fahren wir. Irgendwie haben sie es mir verziehen, dass es weh getan hat, das Bohren. Sie haben es alle durchgestanden und vielleicht hat der eine oder andere wirklich nachher ab und zu seine Zähne geputzt. –Und ich wusste, warum ich Sonderschullehrein geworden war.
Die Haare haben sie ihr abgeschoren, weil ein Brief von der Schule kam, dass sie Läuse hat. Das Bettzeug hat sicher keiner gewaschen, - aber die Haare auf Stoppelglatzenlänge, das ist ruck-zuck erledigt. Sie will so nicht in die Klasse kommen. Lungert mit dicker Wollhaube im Hochsommer vor dem Schulhaus herum. Ich versuche sie zu holen. Es gelingt mir nicht wirklich, bis ich ihr verspreche, ihr am nächsten Tag ein ganz tolles Kopftuch mit goldenen Pailletten mitzubringen, das ich ihr dann ganz toll umbinden werde. Am Nachmittag stelle ich mein Haus auf den Kopf. Wo, verdammt, ist dieses Kopftuch? Ich finde es nicht, ziehe also unter höchstem Zeitdruck los, um eines zu kaufen. Ich erstehe so eine Art Bauchtanztuch und nehme es am nächsten Tag mit. Sie fehlt. Die Eltern anzurufen hat wenig Sinn, - ich weiß, dass sie schwänzt. Also fahre ich am Nachmittag die Straßen ab und das Ekazent, - und finde sie. Ich spreche nicht über ihr Fehlen, aber das Kopftuch, das zeige ich ihr. “Muagn, kumm i”, sagt sie und nimmt das Tuch. Sie war tatsächlich wieder da, am nächsten Tag und da wusste ich, warum ich Sonderschullehrerin geworden bin...