Mein erstes Mal

CaroLange
Als Kleinkind kommt man ja generell aus dem Staunen nicht heraus. So viel Neues zu sehen und zu erlernen ist ganz schön aufregend.
Doch es gibt die ganz besonders unvergesslichen Momente.
Nach einer langen Zeit der täglichen Routine, läuft auf einmal alles ein wenig anders. Heute Morgen sehe ich, wie Opa auf einem riesigen Holzbrett mit einem Teigbatzen kämpft. Offenbar hat er gewonnen, denn nach einiger Zeit war das Ding platt. Anschließend holt er komische Metallteile, die Ähnlichkeit mit meinen Sandkastenformen haben. Auf einmal entstehen da Sterne, Herzen, Bäume und Monde, die er auf ein Blech legt und dann in den Ofen schiebt.
Bald darauf beginnt es in der Küche herrlich zu duften. Ich freue mich schon auf eine Kostprobe, doch leider wandern die Kekse gleich danach in eine große Dose.
Anschließend wird der Tisch wieder frei gemacht für den großen, grünen, duftenden Ring mit den Kerzen drauf. Man hat mir die Geschichte dazu erklärt, verstanden hab' ich's nicht. Auch nicht, warum immer nur ein Teil der Kerzen angezündet wird.
Ein paar Tage später hab ich aus unerfindlichen Gründen Wohnzimmerverbot. Mir fällt das Herumgewusel und Getuschel meiner Großeltern auf. Auch ich soll mich leise verhalten, um ein gewisses Christkind nicht zu stören. (?????)
Gegen Abend wird noch eine Kleinigkeit gegessen, da fällt mir auf, Opa ist nicht dabei. Kurz darauf klingelt's irgendwo, aber nicht an der Tür. Oma meint, das ist das Christkind (????), nimmt mich bei der Hand, und wir gehen zum Wohnzimmer.
Die Tür geht auf, parallel dazu mein Mund und meine Augen. Mitten im Zimmer ist über Nacht tatsächlich ein Baum gewachsen. Noch dazu brennt er, und jede Menge Zeugs hängt an den Ästen. Mein Erstaunen wächst, als Oma und Opa anfangen, dem Baum was vorzusingen. Vielleicht sind sie aber genauso überrascht über den biologischen Wahnsinn.
Unter dem Baum liegen schöne, bunte Päckchen, ähnlich wie die vom Geburtstag. Wenigstens das ist nicht mehr so neu. Also könnte das ja auch einen guten Ausgang nehmen.
Der nächste Tag bringt eine noch größere Überraschung. Eine mir fremde Frau steht vollbepackt in der Wohnungstür. Was, schon wieder Geschenke? Plötzlich fängt die große Tasche an zu schreien. Na, schön langsam zweifle ich an meinem Miniverstand. Gestern der Baum, heute eine schreiende Tasche!
Die Erklärung ist ganz einfach. Oma und Opa sind Pflegeelter, die Frau ist vom Sozialamt und der Schreihals ist ein Notfall. Da meine Großeltern bekannt sind für ihre Verlässlichkeit - viele Kinder fanden bei ihnen schon ein gutes zu Hause - werden sie gebeten, kurzfristig auf den Wurm aufzupassen.
Es sieht so aus, als hätte die Herbergssuche für den kleinen Wurm hier geendet, und wir sind von einem realen ‘Christkind’ heimgesucht worden.
Übrigens, die kurzfristige Unterbringung erstreckte sich auf einige Jahre und ich hatte eine Pflegeschwester, mit der ich noch sehr viel Jahre spielen durfte.