Berauscht von Glück

Eli Schwartz
Ich bin aufgeregt. Ungeduldig. Es brennt unter den Fingernägeln. Im Bauch kribbelt es. Die innere Unruhe wird von der äußeren verstärkt. Meine Fingerknöchel heben sich weiß ab. Verkrampft halte ich mich am Lenkrad fest. Vorsichtig manövriere ich einen voll bepackten, geborgten Pick-Up über die von Schlaglöchern übersäte Schotterpiste. Gleich daneben werfen Kakteen und Sukkulenten aller Art lange Schatten. Es ist früher Vormittag, empfindlich frisch. Die Sonne steht noch tief. Grüngrau gesprenkelt liegt die Wüste von Chihuahua zu meinen Füßen. Ein unwirtliches Gebiet mit schauderhafter Geschichte. An einfacher Schönheit kaum zu überbieten.
Neben dem anspruchsvollen Weg ist es vor allem die Orientierung, die mir zu schaffen macht. Handyempfang, Beschilderung? Fehlanzeige! Die Berge vor mir und die dem Rio Grande entlanglaufende Grenze dienen als grobe Anhaltspunkte. An der letzten Weggabelung, Esperanza ist am Horizont bereits schemenhaft sichtbar, bin ich mir dann endlich sicher. Dort ist mein Ziel.
Die im Kinderheim lebenden Kinder höre ich schon von Weitem. Heute ist die Aufregung besonders groß. Mich verrät die Staubwolke, die ich, trotz Schneckentempo, hinter mir herziehe. Kaum angekommen werden die Tore, eines nach dem anderen, geöffnet und ich darf bis in den innersten Hof vorfahren. Wir entladen Lebensmitteln. Zur Feier des Tages, es ist der erste Weihnachtsfeiertag, da gibt es zudem für jede Kindergruppe große Rosca de Reyes. Ein süßer Germteigkranz mit in den mexikanischen Nationalfarben gefärbten kandierten Früchten. Jedem Bewohner überbringe ich eine warme Decke und ein dem Alter entsprechendes Spielzeug sowie Lernmaterialien. Liebevoll in den letzten Wochen ausgesucht und einzeln verpackt. Versehen mit einer persönlichen Nachricht und ihren Namen.
An den Zäunen tummeln sich die kleinen, oft noch schläfrigen Gesichter. Die Anspannung ist ihnen anzusehen. Sie wollen raus, bewegen sich wie Tiere im Zoo nervös entlang der Absperrung. Die Sonne wärmt ihre kalten Hände und Gesichter, sie verheißt einen sehr warmen Wintertag. Die meisten haben ihre Mützen und Jacken bereits abgelegt und in den Staub geworfen.
Die wahre Attraktion sind heute nicht die Geschenke, sondern der Anhänger. Er thront im Innenhof und es bedarf Zeit,  bis alles ausgeklappt und mit Schrauben fixiert ist. Eine gefühlte Ewigkeit später versammeln wir uns alle. Zappelnde, fröhliche Kinder umringen mich erwartungsvoll. Mit dem Erklingen der Jahrmarktsmusik beginnen ihre dunklen Augen zu leuchten. Ein Lächeln umspielt jetzt jedes einzelne Gesicht. Auch meines.
Ein Schausteller hat ein altes Ringelspiel zur Verfügung gestellt. Heute der Kinder größtes Glück. Runde um Runde dreht es sich quietschend im Kreis. Ein Ohrwurm, Schweiß und Kinderlachen prägen den Nachmittag. Bis sich die Sonne hinter dem Horizont verabschiedet. Berauscht von Glück findet unser gemeinsamer Tag ein weihnachtliches Ende.