Der alte Mann in der Tram

Flonie
Elisabeth eine bezaubernde junge Frau mit blondem lockigem Haar fährt mit der Straßenbahn nach Hause. Seit der Corona-Virus zur Plage geworden ist, herrscht in der Tram Maskenpflicht. Alle Fahrgäste, ausnahmslos alle, tragen ihre Masken im unterschiedlichen Design. Elisabeth ist viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Sie besitzt viele Masken, in ihrer Handtasche liegen immer mehrere, um die Stofflappen unterwegs wechseln zu können. Wenn sie Ihre Waschmaschine anwirft, drehen sich ihre Masken bei 60°C mit ihren Pullis und T-Shirts im Kreis mit. Sie versucht alles um sich und ihre Mitmenschen zu schützen.
In der Bim steht ein alter Mann. Die Kleidung ist abgetragen und schmutzig. Die grauen Haare raufen sich ins Freie unter seiner Mütze. Um seine ungeputzten Schuhe stehen Plastiksäcke dick befüllt mit seinen Habseligkeiten. Die Fahrgäste machen einen großen Bogen um ihn, sie wollen ihm nicht zu nahe kommen, weniger wegen der Angst Corona könnte auf sie überlaufen als ein Floh könnte überspringen. Der Babyelefant kommt nicht nur bei sozialer Distanzierung, sondern auch bei sozialer Schichtung zum Tragen. Die Gesellschaft rückt nicht mit jedem in schlechten Zeiten zusammen. Es sagt keiner der Fahrgäste etwas zu dem alten Mann und ob hinter der Maske die Nase gerümpft wird, wird gekonnt versteckt.
Der alte Mann trägt als Mund-Nasen-Schutz einen, von der Waschmaschine schon lange nicht besuchten, Schal. Elisabeth sieht von ihrem Mobiltelefon auf. Sie beobachtet den alten Mann und empfindet tiefes Mitleid mit ihm. Was ist in seinem Leben schiefgelaufen, dass er mit seinen Sackerln umherziehen muss und er die Heizung der Tramway zum Aufwärmen braucht. Sie findet die Situation nicht gut, dass er keine Maske trägt, wahrscheinlich nicht besitzt und der Schal ist doch kein Schutz. Sie kramt in ihrem Rucksack und findet einen Einwegmundschutz in Cellophanpapier verpackt. Das ist ihre Notfallsmaske, wenn sie alle ihre Stoffmasken des Tages nicht mehr verwenden möchte. Sie nimmt sie und geht langsam und vorsichtig auf den alten Mann zu. Elisabeth reicht ihm wortlos die verpackte Maske. Er sieht Elisabeth an. Er sieht die Maske an. Er greift nach ihr. Der Schal fällt von seiner Nase und Elisabeth sieht sein Einzahnlächeln. Seine Augen weiten sich und beginnen zu glänzen. „Danke. Danke. Danke. Sie sind mein Engel.“ sagt er in einem unwienerischen Ton.
Elisabeth setzt sich wieder auf ihren Sitzplatz. Während der alte Mann seine Maske auspackt und sie aufsetzt, beginnen die Fahrgäste, einer nach dem anderen, zu applaudieren und sehen auf Elisabeth. Daumen hoch, Klatschen und lachende Augen. Elisabeth findet sie hat doch gar nichts gemacht, um so viel Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie hat doch nichts Besonderes gemacht. Um aus dem Scheinwerferlicht zu treten und kein Mittelpunkt mehr der Situation zu sein, steigt sie an der nächsten Station aus und geht den Rest des Weges zu Fuß nach Hause.