Achmed und Weihnachten

Robert Strasser
Achmed saß mir gegenüber. Der Tisch war klein und zerkratzt. Es war der 24. Dezember 2016. Ruhig und nachdenklich saßen wir da. Mein Freund Achmed fragte mich plötzlich: „Was bedeutet Weihnachten für euch?“ Diese Frage hatte ich von ihm nicht erwartet. Kurz dachte ich nach und sagte dann: „Es ist die Zeit der Besinnung und des Friedens. Die Menschen verändern sich. Sie werden menschlicher, freundlicher und sind inniger verbunden“. Achmed blickte auf, sah mir lange in mein Gesicht und langsam fragte er: „Das macht ihr nur zu Weihnachten?“ Verstört und gelangweilt von seinen Fragen gab ich von mir: „Ja, die Menschen sind so. Dem restlichen Jahr jagen sie den schnöden Mammon nach und vergessen sehr oft auf ihre menschlichen Werte. Sie verändern sich erst zur Weihnachtszeit, das ist eben so.“ Unverständnis trat aus Achmeds Augen, er gab mir zu verstehen, dass er nichts von dem Gesagten schnallte. Wissend über seinen Zustand führte ich weiter aus: „Es ist wie eine Filmklappe, wenn sie fällt, dann wird eine neue Szene gedreht. Genauso so ist Weihnachten. Irgendwann in der Adventszeit fällt diese Klappe und der Mensch spielt eine Szene. Er bemüht sich beharrlich freundlicher, humaner und besinnlicher zu wirken. Er ist aber nicht so. Er strebt das ganze Jahr nach Macht, Reichtum, Besitz und ist ein großer Egoist. Jedoch in dieser Zeit, wir sagen auch Adventzeit dazu, erinnert er sich noch an menschliche Werte. Im Prinzip an all das, dass ein Leben eigentlich ausmachen sollte.“ Achmed blickte mich an und meinte: „Ihr Christen seid also Zeitgläubige. Ihr lebt euren Glauben nur in dieser Zeit?“ – „Nein, da leben wir es intensiv und zeigen allen anderen, wie menschlich wir doch sind. Es ist kompliziert, Achmed und nicht leicht zu erklären. Wie ist das eigentlich bei eurem Glauben, beim Islam?" Achmed dachte kurz nach, stand auf, kniete am Boden nieder und begann mit seinem Gebet. Als er fertig war, sagte er zu mir: „Du weißt ich bete täglich zweimal zu meinem Gott, ich habe gar nicht die Möglichkeit, ihn zu vergessen. Der Koran steht über jedem menschlichen Gesetz. Nach ihm zu Leben ist unsere einzige Pflicht!" Achmed war ein verurteilter Terrorist und ISS Kämpfer, seit fast einem Jahr lebte ich mit ihm in einer knapp 16 m2 Zelle im Landesgericht Wien. Nachdenklich ließ er mich zurück und legte sich auf seine Pritsche. Mein Blick wanderte aus dem vergitterten Fenster. Durch die hellstrahlenden Scheinwerfer konnte ich ein kleines Stück Himmel erkennen. Ein Stern stand genau in diesem Blickwinkel. Es ist gut, dass es Weihnachten gibt, auch wenn wir nur für diesen Zeitraum unsere wahren Gefühle ausleben können. Ich sah das Fest mit ganz anderen Augen.