Kinder und Schnee

Thomas Schützenhöfer
Herrlich, es hat geschneit! Beim Blick vom Balkon überwiegt schon ein gutes Gefühl. Der Tag ist zwar noch von der Nacht dunkel gefärbt, aber der blasse Schnee strahlt. Eisplatten auf den Teichen, daneben glitzernde Zapfen auf den Bäumen. Rausgehen ist dennoch schlecht, die morgendlichen Unterrichtstunden vor dem Laptop starten gleich.
Die lieben Kleinen, die jeden Morgen mit mir Vorlieb nehmen müssen, sind meist recht reserviert so zeitig in der Früh. Wie immer starte ich die Besprechung, einer nach dem anderen stößt dazu und bald sind fast alle da. Kurz vor Beginn habe ich die Stunde etwas adaptiert, sprich gekürzt, die Kinder sollen den Schnee genießen und spielen gehen. Ich bin aber noch etwas unsicher, ob sie das tatsächlich so annehmen, denn die Kids stehen allgemein in Verruf, immer wie weniger mit der Natur anfangen zu können. Generation Youtube und so.
Freudig schalte ich den Bildschirm und den Ton für alle frei und begrüße sie mit einem breiten Lächeln. „Guten Morgen liebe Leute! Hats bei euch in der Nacht auch gschneit?“ Und dann passiert es. Ein Stimmengewirr, welches ich in einer Video-Besprechung so noch nicht erlebt habe. „Herr Schützenhöfer, ja voll viel!“ „Bei uns auch!“ „Sicher zwanzig Zentimeter.“ „Ja voll cool!“ Nach geschätzten 100 Sekunden der Aufregung gelingt es mir, Ordnung in den Laptop zu bringen. Aber ehe ich mich versehe, lenkt ein Junge die Aufmerksamkeit auf sich.
„Herr Schützenhöfer, schauns amal. So viel hats gschneit bei uns und es schneit noch imma!“ Der junge Mann trägt sein Endgerät spazieren, öffnet die Balkontür und dreht den Bildschirm ins Freie. Während seines kurzen Spaziergangs war das kindliche Gesicht einmal näher, einmal weiter weg vom Bild, jetzt sieht man nur noch weiß. Irgendwo am Land, weit und breit sind keine Häuser, nur schneebedeckte Bäume und eine ebene Schneewüste. Dann zuckt das Bild. „Mama, ich brauch draußn an Hotspot.“ „Na lass mal“, sage ich dem übermütigen Kerl, „geh lieber wieder rein und setz dich!“ Gesagt getan, zurück am Tisch lauscht er den Ausführungen der anderen.
„Ich bin bei meinem Papa, dem sein Haus steht neben dem Wald und da hab ich Reh-Spuren gesehen. Weil die kommen in den Garten und gehen da spazieren.“ Das Mädchen erzählt die kurze Anekdote aufgeregt und herzlichst, bekommt dafür sogar von den „coolen“ Jungs das ein oder andere „Wow!“ Ein spitzbübisches Köpfchen ruft dann dazwischen, dass er mit seinem Bruder heute Bobfahren geht. „Ja wir gehen auch!“, rufen drei andere Burschen im Chor.
Aber die Klassenvorstandsstunde ist ja keine Erfindung aus Jux und Tollerei, sondern da sollte doch gearbeitet werden. Ich frage die Kinder, was sie heute noch zu tun haben, in welchen Fächern sie Video-Konferenz haben und dergleichen. Glücklich lass ich mich dann nach wenigen Minuten zu folgendem Schlusssatz hinreißen: „Gut, dann mach mas so: wir beenden die Besprechung, dafür gebts ihr jetzt Vollgas in der Früh und geht’s dann raus spielen!!“