Das Christkind spricht auch Türkisch

Ümit Mares
Insgeheim hasste ich den ersten Schultag nach den Weihnachtsferien. Meine Schulfreundinnen würden wieder mit ihren tollen Weihnachtsgeschenken in die Schule kommen und von ihren schönen Weihnachtsfeiern erzählen. Und ich? Ich hatte nichts zu erzählen, denn zu uns kam das Christkind nicht!
“Wieso feiern wir kein Weihnachten?” fragte ich meine Mama enttäuscht. “Zu Weihnachten wird die Geburt von Jesus gefeiert und wir sind keine Christen, sondern Muslime!” war ihre Antwort.
Aber Jesus ist doch ein wichtiger Prophet im Islam, wieso können wir nicht auch seinen Geburtstag feiern? Und wenn wir auch einen geschmückten Baum haben, dann kommt das Christkind ganz sicher auch zu uns!" erwiderte ich. “Das Christkind spricht aber kein Türkisch!” bekam ich zu hören.
“Das Christkind spricht sicher alle Sprachen, das besucht ja Kinder auf der ganzen Welt und die sprechen nicht nur Deutsch!” Ich wusste, mit diesem Argument hatte ich sie! Zur Sicherheit stiftete ich auch meinen kleinen Bruder an, dass er ebenso darauf pochen sollte Weihnachten feiern zu dürfen.
Unsere Eltern willigten letztendlich ein! Ich konnte es nicht fassen, ich würde mit zehn Jahren zum ersten Mal Weihnachten feiern! Auch, dass wir die ganze Wohnung bis ins kleinste Eckerl blitzblank putzen mussten, machte mir nichts aus! Denn immerhin erwarteten wir ja nicht irgendjemanden, sondern das Christkind höchstpersönlich!
Nie werde ich vergessen, als ich diesen wunderbaren Duft des Baumes im Wohnzimmer wahrnahm. Es roch wie im Märchenwald und der Baum war so schön geschmückt, ich starrte ihn fasziniert stundenlang an.
Nach dem Essen mussten mein Bruder und ich im Schlafzimmer nach dem Christkind Ausschau halten. Wir saßen vor dem Fenster, mit Adleraugen beobachteten wir jede einzelne Bewegung. “Wie sieht das Christkind aus? Kann es fliegen und wie viele Geschenke hat es für uns?” waren nur einige der Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten. So viele Bilder und Erwartungen hatte ich im Kopf, als plötzlich eine Glocke zu hören war.
Mein Bruder und ich stürmten ins Wohnzimmer und sahen viele Packerl unter dem Baum, aber kein Christkind! Meine Mama erklärte uns, dass sie es selbst nicht sehen konnte, so schnell war das Christkind! Als wir wieder die Geschenke erblickten, war die Enttäuschung schnell verflogen, denn ich wusste das Christkind hatte uns gefunden und uns reichlich beschenkt!
Bis heute hat sich nichts an meiner Begeisterung für Weihnachten verändert. Inzwischen ist ein fester Bestandteil unserer Traditionen, so wie es auch das Opfer- oder Zuckerfest ist. Wir alle können unsere Gewohnheiten, unsere Kulturen ändern. Wir brauchen nur etwas Mut, Neugier und Offenheit für das Neue, das vermeintlich Andere! Alles, was wir nicht kennen, macht uns anfangs vielleicht unsicher, aber am Ende ist es immer eine Bereicherung! Und gerade in Zeiten wie diesen, ist es umso wichtiger gemeinsam zu feiern, gemeinsam zu lachen!
Frohe Weihnachten!