Helfer in der Not

Lilly Frost
Es war ein ganz normaler Montag im kurz vor Weihnachten. Meine siebenjährige Tochter verließ die Wohnung zeitgleich mit mir um kurz nach sieben. Während ich mit dem Auto ins Büro am Flughafen fuhr, nahm sie den Bus zur Schule. Ich hatte einen vollen Terminkalender. Eine Pressekonferenz stand auf dem Programm. Location checken. Präsentation vorbereiten. Parktickets für die Medienvertreter nicht vergessen. Kurzum, ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand Mein Chef war - wie häufig bei speziellen Presseterminen - hektisch.
Hast du die Pressemappen? Vergiss nicht, die Letztversion der Pressemitteilung auszudrucken! Haben wir die Kamera aufgeladen? Check. Check. Check. An alles gedacht – los geht’s!
Ich schnappte gerade mein Notebook und zwei Roll-ups, als mein Mobiltelefon klingelte. Ich kannte die Nummer nicht. Am anderen Ende meine Tochter – in Tränen aufgelöst.
„Was ist denn, Maus?“, fragte ich und bedeutete meinem Chef, ich würde gleich nachkommen.
„Ich bin bei der falschen Haltestelle ausgestiegen“, heulte meine Tochter ins Telefon. „Ich habe immer wieder gedrückt, aber der Busfahrer hat einfach nicht angehalten.“
Oh, bitte nicht!, dachte ich im Stillen. „Wo bist du denn jetzt?“, fragte ich so ruhig es mir möglich war. Wenn ich jetzt meinem Chef erklären musste, dass er die Pressekonferenz ohne mich würde schmeißen müssen, …
„Irgendwo in Itzling“, erklärte sie mir.
„Von wo rufst du denn an? Bist du in einer Telefonzelle?“, fragte ich.
„Nein“, erwiderte mein Kind. „Das Telefon gehört einem Mann.“
Mir wurde schlagartig mulmig. Wieso telefonierte meine Tochter mit dem Handy eines wildfremden Mannes? Mein Puls beschleunigte. Alle möglichen Bilder flirrten durch meinen Kopf.
„Gib mir den Mann doch bitte einmal, ja Schatz?“
Gehorsam reichte meine Tochter das Handy weiter.
„Sind Sie die Mama?“, fragte er in gebrochenem Deutsch.
„Ja, die bin ich“, erwiderte ich und begann zu schwitzen. „Was ist denn passiert?“
„Habe Ihre Tochter gesehen. Hat geweint. Hat Weg zur Schule nicht gewusst.“
„Okay, verstehe. Wo sind Sie denn? Ich komme sofort und hole sie ab“, sagte ich entschlossen, obwohl ich wusste, dass mein Chef ausflippen würde.
Der Mann erklärte mir, dass er auf einer Baustelle in Schallmoos arbeitete, in unmittelbarer Nähe der Volksschule. Ich kannte die Baustelle.
„Wenn für Sie okay, ich bringen sie zur Schule.“
Ich zögerte. Konnte ich meine Tochter einfach mit einem fremden Mann mitfahren lassen? Andererseits hatte ich seine Nummer und – hätte er Böses im Sinn – hätte er meine Tochter wohl kaum anrufen lassen.
Schließlich willigte ich ein. Während der Pressekonferenz starrte ich nervös auf mein Handy. Als es vibrierte, eilte ich aus dem Saal. Meine Tochter war soeben in der Schule angekommen.
Ich dankte dem Mann überschwänglich.
„Ist gar kein Problem. Schöne Weihnachten!“
Noch heute bin ich von Dankbarkeit erfüllt, wenn ich daran denke, wie selbstlos der unbekannte Mann meiner Tochter geholfen hat.