Kleine Erwartungen

Jakob Zitterbart
Es war ein eigenartiger Sommer. Ich saß im Zug von Zürich nach Salzburg, Berge und Seen zogen an mir vorbei. Ich reflektierte ich mein Leben und fragte mich, wo ich eigentlich hinwollte. Nicht heute, da war das Ziel klar. Im Leben. Aber wer weiß das schon so genau.
Ich war auf dem Weg zu einer Lesung. Meine Geschichte sollte ich lesen. Auch wenn es mein Beruf ist, vor Menschen zu sprechen, alleine der Gedanke eine von mir geschriebene Geschichte vorzulesen ließ sämtliche Dämonen und Neurosen Hochschaubahn durch meine Synapsen fahren. Die Story ist totaler Mist, ich werde mich blamieren, aus Mitleid werden Menschen klatschen, oder auch nicht und dann denken was für ein Idiot ich bin. Ich werde es vermasseln. Was eigentlich?
Die Veranstaltung wurde nach draußen in die Abendsonne verlegt. Auf die Wiese am Fluss. Es ist ein nahezu lächerlich schöner Ort. Ich atme ein, begrabe alle Neurosen unter dem restlichen emotionalen Ballast den ich in 34 Jahren angehäuft habe und lese. Die absolute Katastrophe bleibt aus. Sie bleibt immer aus. Zufrieden bin ich natürlich trotzdem nicht. Ich hätte es besser gekonnt, oder zumindest besser können müssen. Davon bin ich überzeugt.
Nichts wie weg hier. Mit einer Freundin ins Café an der Salzach. Die Sommernacht genießen. Es gibt kalten Weißwein und live Musik. Gerade als wir erörtern, dass ich im Leben einfach nicht da bin, wo ich denke sein zu müssen, bleibt mein Blick an einer alten Frau hängen, die schon eine Weile vor dem Café auf der Straße steht. Sie hält ihren Tretroller und wippt zur Musik. Sie sieht froh aber auch unsicher aus.
Ich weiß bis heute nicht warum, aber ich stehe auf und bitte Sie hereinzukommen. Sie verneint. Sie sei nicht schön genug angezogen und gehöre nicht hier hin. Mit drei Sätzen habe ich sie überzeugt, dass sie heute definitiv hier hingehört. Außerdem würde es mir eine Freude sein sie einzuladen. Sie setzt sich an den Nebentisch und bestellt Kaffee und Kuchen, obwohl es spätabends ist. Ich habe schon lange niemanden mehr so glücklich gesehen.
Im Laufe des Abends bestellt sie noch Essen und trinkt Wein. Wir kommen ins Gespräch, sie erzählt von einem langen, beschwerlichen aber glücklichen Leben das zu einer Mindestpension geführt hat. Das sei aber nicht schlimm. Sie hätte ja ihren Tretroller und somit gehöre die Stadt ihr.
Diese Energie ist unfassbar. Ich frage Sie was ihr Geheimnis ist. „Ich erwarte mir nicht zu viel. Heute Abend wollte ich spazieren gehen und jetzt sitz ich hier und erlebe ein Highlight. So jetzt muss ich aber ins Bett. Ich bin eine alte Frau. Dankeschön junger Mann.“
Ich nehme mir für meine Zukunft vor, nur mehr kleine Erwartungen zu haben. Es wirkt sofort. Beim Zahlen ist die Rechnung deutlich niedriger als erwartet. Auf meine Nachfrage antwortet die Kellnerin: „Also das Essen der Dame haben die Jungs vom Nachbartisch bezahlt, den Spritzer der Dame zahle ich und mein Chef lädt dich auf ein Getränk ein, weil er es toll findet, dass du die Frau hereingebeten hast."