Eine Herberge finden…

Michael Schober
Es begab sich im November 1992.
Der Bosnienkonflikt weitete sich aus und hatte sich zu einem grausamen Krieg, im Herzen Europas entwickelt. Die Nachrichten waren voll mit Meldungen über Massaker und Vertreibungen. Täglich kamen viele Flüchtlinge über die Grenze nach Österreich. Diese Situation ließ uns nicht kalt und uns gingen die Bilder der traumatisierten und vertriebenen Menschen nicht mehr aus dem Kopf. Ich wünschte mir, nicht nur durch Spenden, sondern irgendwie persönlich helfen zu können, aber wie?
1991 hatte in unserem Betrieb ein junger Mann aus Bosnien zu arbeiten begonnen. Er sprach noch kaum Deutsch, erklärte mir aber, dass seine Eltern auf der Flucht seien und er keine Möglichkeit habe sie unterzubringen.
Alles erschien sehr vage und undurchschaubar und unsere Bedrücktheit aufgrund der Not in unserem Nachbarland wurde ein Dauergefühl. Die Adventzeit begann und die Idee irgendwie zu helfen beschäftigte mich sehr.
Am 3. Dezember, einen Tag vor meinem 35. Geburtstag läutete es an der Haustür. Ich öffnete und ein ärmlich gekleideter Mann und seine Frau erklärten in gebrochenem Deutsch, dass sie die Eltern des bei uns beschäftigten Jaka seien und nicht wüssten wo sie die nächsten Tage schlafen sollten.
Da ich ein beheizbares Gartenhaus in unmittelbarer Nähe besaß, brachte ich die beiden vorerst für die nächsten Tage dort unter. Iwo und Ajsa, wie die beiden hießen, waren aus ihrem Heimatdorf in Bosnien nach dauernder Bedrohung durch unmittelbare Kampfhandlungen und Kriegsgräuel Ihres gesamten Besitzes beraubt und von Ihrem Haus vertrieben worden. Mit nichts als den Kleidern am Leib wurden sie mit einem Bus Richtung Österreich gebracht. Es stellte sich heraus, dass Iwo viele Jahre in Deutschland als Holzarbeiter tätig war und leidlich Deutsch sprach. Er hatte für jedes seiner 6 Kinder ein Haus in seinem Dorf errichtet – keines sollte je darin wohnen. Alles wurde durch den Krieg verwüstet….
In den nächsten Tagen bis Weihnachten richteten wir die Unterkunft wohnlich ein und fanden Zeit uns miteinander bekannt zu machen und ihre tragische Geschichte zu hören. Somit hatte sich der Wunsch direkt zu helfen erfüllt, und das an meinem Geburtstag.
Eine Weihnachtszeit ohne Verfolgung und Gefahr war gesichert und auch ein kleines Bäumchen durfte am Heiligen Abend nicht fehlen. Iwo und Ajsa waren kroatisch stämmige Christen, die seit Generationen in Bosnien gelebt hatten. Ihre Erleichterung war riesig.
Der Sinn von Weihnachten, als Fest der Liebe wurde uns diesmal wirklich bewusst und wir waren dankbar und froh darüber.
Iwo erwies sich als fleißiger Holzarbeiter und arbeitete schon ab Neujahr in unserer Firma. Dass, daraus eine lebenslange Freundschaft wurde und die beiden 17 Jahre bei uns blieben, war schon außergewöhnlich.
2009 übersiedelten sie nach Kroatien. Unser Kontakt blieb immer erhalten.
2015 besuchten wir sie in Ihrer Heimat, in Zagreb.
Es war ein letztes, sehr herzliche Treffen. Iwo starb 2018.