Ein Baum für Heilig Abend

Anna-Katharina Plach
Die Nacht zuvor hatte es geschneit. Marie sah aus dem Fenster. Überall lag ein weißer Teppich. Auf der Wiese, auf den Bäumen, auf den Dächern, ja sogar die Straße zu ihrem Haus war nicht mehr zu sehen. Alles war weiß und die Morgensonne ließ die Welt funkeln.
„Kommt heute das Christkind?“, fragte Marie ihre Mutter. Doch die erinnerte sie, dass sie heute erst das zehnte Kästchen vom Adventkalender geöffnet hatte. Es dauerte also noch etwas.
So lange konnte Marie nicht mehr warten. Wie sollte sie sich nur die Zeit bis dahin vertreiben? Da hatte sie eine Idee. Sie beschloss, dem Christkind zu helfen. Aber wie? Sie könnte ihm Geld geben. Bestimmt waren all die Geschenke, die es brachte, sehr teuer. Aber als sie ihre Spardose schüttelte, hörte sie lediglich das Klimpern von ein paar Münzen. Das würde nicht reichen. Marie dachte weiter nach und sah erneut aus dem Fenster. Die schneebedeckten Bäume sahen aus wie ein Wald voller Weihnachtsbäume.
Natürlich! Sie könnte einen Christbaum aussuchen. Hier wuchsen so viele Tannenbäume. Sicherlich kostete es viel Mühe, für jede Familie einen passenden zu finden. Sie zog sich warm an und ging mit ihrer Mutter auf die Suche nach einem Baum für Heilig Abend.
„Schau Mama, da ist schon einer!“ Marie war aufgeregt. Sie wollte die Zweige angreifen und fühlen, ob es der richtige sei. Doch sie war zu klein und die Mutter musste sie hochheben. Dabei fiel Schnee in ihr Gesicht und sie musste ihre Augen kurzschließen. Daneben stand noch ein Tannenbaum. Auch dessen Zweige musste sie anfassen. Aber keiner der beiden fühlte sich richtig an.
Enttäuscht ging Marie mit ihrer Mutter weiter. Nun ahnte sie, welch harte Arbeit das Christkind haben musste, um für jeden den richtigen Baum auszuwählen. Allmählich kroch die Kälte in ihre Schuhe und Marie hatte keine Lust mehr weiterzusuchen. „Noch bis zur Kurve“, meinte die Mutter.
Sie gingen also noch bis zur Kurve, die zu einer Wiese führte. Vom Grün des Grases war nichts zu sehen. Lediglich eine weiße Decke. Und in der Mitte ragte ein großer Baum empor. Es war nicht irgendein Baum, es war ein prächtiger Tannenbaum. Marie lief durch den Schnee, um ihn zu berühren. Dieses Mal musste sie ihre Mutter nicht heben. Seine Äste reichten beinahe bis zum Boden.
Marie zog ihre Fäustlinge aus und ließ ihre Hand langsam über die Nadeln eines Zweiges gleiten. Dabei befreite sie ihn von einer dünnen Schneedecke. Mit nassen Fingern spürte sie zuerst die kurzen Nadeln, die nahe dem Stamm aufrecht wuchsen, als ob sie ihn beschützen wollten. Je weiter Maries Hand nach außen kam, desto länger wurden sie und fühlten sich nun weich an.
„Das ist unser Christbaum“, sagte Marie andächtig. Zu Hause wollte sie dem Christkind einen Brief aufs Fensterbrett legen, in dem sie genau diesen Baum zeichnen würde. Die Nadeln, die zunächst kurz und aufrecht waren, dann aber länger wurden und sanft beieinanderlagen.