Misteln und Maroni

Ferdinand F. Planegger
Heute werde ich in die Altstadt gehen, einen Maronibrater aufsuchen und mir ein Stanitzel Maroni gönnen. Nostalgisch erinnere mich an eine Zeit vor vielen Jahren, als ich selbst ein Maronibrater war. Nur aushilfsweise, aber immerhin. Es war in meiner dunkelsten Zeit. Es gab aber auch Lichtblicke in dieser düsteren Zeit.
Ich war arbeitslos und pleite. Krampfhaft überlegte ich, was ich dagegen tun könnte – da kam zufällig ein Bericht im Radio über die mystische Kraft von Misteln. Sie sollen Glück bringen und vor Krankheiten schützen. Man sprach von altem Brauchtum und dass die Leute jetzt vor Weihnachten ganz verrückt seien auf diese Mistelbüsche und dafür gutes Geld zahlen würden. Das hörte sich wie ein Konzept an, das mein Loch in der Kasse kurzfristig stopfen könnte. Das ist die Idee, meine Chance, dachte ich, zog meine dicken Stiefel an und begab mich auf den Weg. Ich wohnte am Stadtrand von Salzburg; hinter meinem Haus lagen die abgeernteten Felder, dahinter begann der Wald, dort, so vermutete ich, würde ich Misteln finden.
Der Himmel war schwer, selbst die kürzesten Wege schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren. Der frische Schnee blendete mich und ich kniff die Augen zusammen. Die Schneedecke wurde immer höher. Vom anfänglichen Knirschen unter den Stiefeln war nichts mehr zu hören. Es wurde stiller und kälter, der Schnee staubte jetzt weg wie weißes Pulver. Die Krähen waren verstummt, die Wipfel der Bäume rührten sich kaum.
Am Rande eines verlassenen Hofes standen vereinzelt alte Obstbäume. Als ich näher kam, stiegen dann doch zwei Krähen krächzend auf, sonst bewegte sich nichts. Die Streuobstwiese war mit einem morschen Holzzaun eingegrenzt, etwas außerhalb stand ein verfallenes Steinhaus. Jede Menge Gerümpel lag rund um einen halb zugefrorenen Löschteich. Zunächst interessierten mich die herrenlos herumliegenden Geräte – könnte ja sein, dass man etwas brauchen könnte. Ich schaute hinter das alte Haus, das einmal eine Mühle war und sah einen knorrigen, vom Wind zerzausten Apfelbaum der über und über mit Misteln bewachsen war. Was für ein Glück. Der Baum hatte seine eigenen Blätter schon lange abgeworfen, vereinzelt hingen tiefrote Äpfel im Geäst, ansonsten leuchteten zwischen den immergrünen Mistelblättern nur weiße Perlen, die Früchte der Misteln. Geschafft, dachte ich, holte mein Schweizermesser aus dem Rucksack und begann mit der Ernte. Mit klammen Fingern ergriff ich eine Zaunlatte und schlug so die letzten Äpfel von diesem windschiefen Apfelbaum. Die Glücksbringer ragten weit aus meinem Rucksack, eine Wegzehrung in Form tiefroter Äpfel steckte in meiner Manteltasche. Auf geht’s, sagte ich mir und stapfte durch den Schnee in Richtung Grünmarkt in der Altstadt. Mein Freund Kurt hatte am Alten Markt einen Maronistand. Bei ihm wärmte ich mir die Hände, vertrat ihn in der Mittagsstunde am Ofen und hängte meine Misteln zum Verkauf an die Hütte. Passt doch – Misteln und Maroni!