Last-Minute-Wunsch

Sira
Mit Entscheidungen habe ich mich schon mein Leben lang schwergetan. Meine Mutter A. sagt immer, ich habe schon als Kind zwei Stunden überlegen können, ob ich lieber den roten, oder den orangefarbenen Lolli haben möchte, selbst, wenn sie gleich schmecken. Und so war sie zwar nicht gerade begeistert, aber auch nicht gerade überrascht, als ich ihr erst am 23. Dezember mitteilte, dass ich mich entschieden hatte, was ich mir vom Weihnachtsmann wünschte. Im Gegensatz zu meiner Schwester M., die trotzdem ihren Wunschzettel noch nicht fertig hatte.
“Das Märchenschloss von Playmobil!”, verkündete ich meinen Entschluss.
“Oh, Häschen, ich glaube nicht, dass der Weihnachtsmann das so kurz vor Weihnachten noch schafft.”
Belustigtes Grinsen meinerseits und die unschlagbare Überzeugung eines Kindes: “Ach, Mami! Wir sprechen hier doch vom Weihnachtsmann! Der kriegt das doch hin!"
Es ist nicht überliefert, wie viele Geschäfte sie an diesem Tag anrief und aufsuchte. Wir wohnten auf dem Land und sie war in Bremen, Cuxhaven und Bremerhaven. Jeder, der das Weihnachtsshopping schon mal erst auf den letzten Drücker erledigt hat, weiß, wie stressig und herausfordernd das ist. Der Verkehr, die Warteschlangen, die Hektik, genervtes Gedrängel - da ist wenig weihnachtliche Stimmung. Wer dann auch noch auf der Suche nach einem zu der Zeit sehr beliebten (und neu auf dem Markt) Märchenschloss von Playmobil ist, gerät leicht an den Rand der Verzweiflung. Und wofür? Damit das Kind nach Erhalt des Geschenks begeistert und mit bestätigter Überzeugung verkünden kann: “Siehst du? Natürlich schafft der Weihnachtsmann das!”? Tolle Aussicht.
Doch unsere Mutter ist eine sehr entschlossene Person, die alles tun würde, damit es meiner Schwester und mir gut geht. Man könnte meinen, dass ein Wunsch, für den man sich erst so spät entscheidet, ja nicht so wichtig sein kann. Aber meine Mutter weiß, dass das bei mir nicht immer in Relation steht, und es stand ja auch mein Glaube an den Weihnachtsmann und somit quasi unser aller Heiligabend auf dem Spiel. Und ihre Mühe zahlte sich aus! Sie schaffte es wirklich, das Märchenschloss für mich zu ergattern. Natürlich kam der rechthaberische Spruch, aber meine Kinderaugen strahlten. Und auch, wenn ich mich damals nicht bei ihr bedanken und ihre ganze Mühe schätzen konnte, weil ich es nicht wusste, so hatten meine Schwester und ich trotzdem eine Tradition, die dem Ganzen zumindest etwas nahekam. Wir rannten, wenn alle Geschenke ausgepackt waren, zur Tür und schrien in die Nacht, “Vielen Dank lieber Weihnachtsmann!”. Als ich Jahre später erfuhr, dass der Weihnachtsmann nicht echt war, fragte ich erschrocken nach dem Schloss. Sie lachte und erzählte mir die Geschichte.
Ich bin mir sicher - selbst, wenn es wirklich nirgendwo mehr zu bekommen gewesen wäre, hätte meine Mutter eine Alternative für mich gefunden und es geschafft, Weihnachten für uns alle zu dem wundervollen, magischen Gefühl zu machen, das es immer war.