Eisblumensterben

Fabiennne
Ein kalter Wintertag greift um sich. Der Rauch steigt senkrecht aus den Kaminen auf. Die Menschen, die ihnen begegnen, vergraben ihre Hände tief in den Taschen, haben ihre Mantelkragen hochgeschlagen und die Köpfe tauchen zwischen den hochgezogenen Schultern ein. Der Atem kringelt sich in kleinen Wölkchen vor den Gesichtern.
„Opa, die Lehrerin hat gesagt, dass die Eisblumen aussterben.“ Hanna schaut den Opa an, der mit ihr zum Ententeich spaziert war.
„Was, die Mittagsblume soll aussterben, die sind doch extra winterhart gezüchtet worden?“ Der Opa schüttelt den Kopf.
„Die Lehrerin hatte die Eisblumen an den Fenstern gemeint. Sie sagte, dass es eine Sonderform von Raureif sei.“
„Ach die Eiskristalle, die auf Glasscheiben kleben und wegen ihrer Ähnlichkeit mit Blumen so genannt werden.“
„Ja, die sollen weniger werden.“
„Vermutlich hat sie recht, deine Lehrerin“, stimmte der Opa zu.
„Wieso? Am Schuppenfenster waren doch welche.“
„Ja, der Schuppen ist ja auch alt und die Glasscheiben sind immer a bißerl staubig.“
„Sag das nicht der Oma“, meinte Hanna.
„Stimmt, die putzt dann gleich wieder.“ Der Opa schmunzelte. „Weißt, die Eisblumen brauchen eine ganz bestimmte Umgebung, um entstehen zu können.“
„Klar, es muss kalt sein.“
„Ja, aber es hängt auch mit der Außentemperatur und der Luftfeuchtigkeit in einem Raum zusammen.“
Hanna schaute den Opa interessiert an.
„Wenn es im Raum wärmer ist, kühlt die Raumluft, zur Scheibe hin ab, die ja mit der Außentemperatur in Verbindung steht.“
„Also ein großer Temperaturunterschied?“
„Hmmm, sinken die Außentemperaturen unter 0 °C und ist es im Raum wärmer, kann die Luft, nicht mehr so gut Feuchtigkeit aufzunehmen. Und das Wasser, das die Luft nicht mehr aufnehmen kann, kondensiert und gefriert.“
„Und das ergibt dann die Eiskristalle an der Scheibe?“
„Ja, die zum Teil bizarren Eisblumen entstehen, wenn die Luftfeuchtigkeit im Raum entsprechend hoch ist.“
„Aber bei uns zu Hause passiert das nicht“, fügte Hanna hinzu.
„Ja bei euch sind die Fenster gut wärmegedämmt, geben also weniger Wärme über die Scheiben nach draußen ab.“
„Dann funktioniert das nicht?“
„Nein. Sieh, die Glasscheibe vom Schuppen ist viel dünner und gibt somit viel Wärme über die Scheibe ab.“
„Ah, also je geringer die Wärmedämmung, umso eher entstehen die Eisblumen? Das begünstigt das Festfrieren der Feuchtigkeit auf den Glasscheiben“, stellte Hanna fest.
„Ja und auf dem Glas müssen zum Beispiel auch Staubteilchen oder Unebenheiten vorhanden sind, an denen die Eiskristalle wachsen können. Ist die Oberfläche zu glatt, dann funktioniert das nicht.“
„Oder zu sauer geputzte Fenster?“, meinte Hanna.
„Ja oder das. Aber insgesamt führt die heutige Bauweise dazu, dass kaum mehr Eisblumen an Fensterscheiben entstehen."
„Dann hatte die Lehrerin das wohl gemeint, als sie sagte, dass die Eisblumen aussterben.“
„Ja, ein Vorteil hat immer auch einen Nachteil“, gibt der Opa zu bedenken.