Ein Hauch von Oma

Sabrina Farkas
Meine Oma, um genau zu sein, meine Großmutter mütterlicherseits, hatte eine Gabe, die nur Großmütter zu besitzen scheinen. Sie konnte kochen und backen, ohne zu wiegen, zu messen, Rezepte zu befolgen. Selbst für meine Mama und mich komplex anmutende Dinge wie ein Germteig – bei Oma reine Gefühlssache. Ihre Anleitung klang dann in etwa so: „Da nimmst ein Mehl, ein bisschen hiervon, dann soviel davon, dass eine gute Masse entsteht…“ Natürlich glückte ihr jedes Gebäck und jedes Gericht. Uns, meiner Mama und mir, ist das bis heute ein Rätsel.
Doch Oma hatte eine Ausnahme: die Vanillekipferl. Die Vanillekipferl, betonte sie immer wieder, die könne sie nur nach Rezept. Sonst wird das nichts. Omas Vanillekipferl waren jedes Jahr ein fester Bestandteil unseres Weihnachtsfests.
Seit Oma nicht mehr da ist, hat Mama das Vanillekipferl backen übernommen. Natürlich nach Omas Rezept. Sie sind genauso köstlich und sehen genauso aus wie die von Oma. Na ja, ein bisschen größer vielleicht, Mama hat beim Formen nicht so die Engelsgeduld wie Oma. Aber sie sind genauso super, die Kipferl. Und irgendwie ist Oma so zu Weihachten noch immer ein bisschen dabei.
Ich habe Oma ein anderes Rezept aus den Rippen geleiert: das für ihre Rumkugeln. Die durfte ich schon als Kind naschen, ist ja nur „ein Schuss“ Rum drin, so Omas Inhaltsangabe. In meiner Rezeptesammlung bewahre ich die genauest mögliche Beschreibung, die wir bekommen konnten, auf. Ich hüte diesen Schatz und erweise ihm jedes Weihnachten die Ehre. Eine fürchterliche Patzerei, die Zubereitung, aber eine echte Offenbarung, wenn es ans Verkosten geht. Noch ein Hauch Oma, der zu Weihnachten geblieben ist.
Als ich vor zehn Jahren von Mama aus- und in meine eigene Wohnung eingezogen bin, war es Oma wichtig, mir ein Einweihungsgeschenk zu machen, das mich lange an sie erinnern würde. Ich wollte nichts davon hören, dass ein Gegenstand länger hier sein würde als sie. Doch sie hat es sich so gewünscht und hat mich gefragt, ob ich schon ein schönes Besteck hätte und ich hatte keins und so habe ich mir eins ausgesucht und sie hat es mir geschenkt.
Auch, wenn ich es damals nicht wahrhaben wollte – wenn ich heuer am Weihnachtsabend das Besteck von Oma aufdecke, wird es mich an sie erinnern. Wird es uns alle an sie erinnern. Und der Hauch Oma, ohne den Weihnachten nicht Weihnachten wäre, wird sich ausbreiten und uns noch enger aneinanderrücken lassen.