Engelflügel

Elke Koller
In meiner Kindheit haben wir vor Weihnachten immer viel gebastelt: Strohsterne, vergoldete Nüsse, Lebkuchen am roten Band wurden für den Christbaum gerichtet. Meine Mutter hat aber auch immer wieder ganze Krippen mit Figuren gebastelt. Wir hatten eine wunderschöne Krippe aus Rinde und Moos, die Figuren waren aus Drahtgestell, mit selbstgenähten Kleidern und mit wunderlich geformten Gesichtern (Wattebäusche mit Strumpfhose überzogen und für Wangen, Mund und Nase eingenäht), meine Mutter war da eine richtige Künstlerin. Für andere bastelte sie Krippen aus Maisstroh, Tannenzapfen, Ton und Stoff, je nachdem wie aufwendig die Sache werden sollte.
Für den Zimmerschmuck gab es immer einen selbstgebundenen Adventkranz, Orangen mit Nelken, Gewürzbilder und Zimtstangen. Es duftete herrlich. Mein Vater steuerte – für Weihnachten untypische – Räucherstäbchen bei und auf der Herdplatte wurde Weihrauch verbrannt. Der katholische Pfarrer ging von Haus zu Haus, um die Kränze zu segnen und er kehrte auch gerne bei der evangelischen Familie ein.
Kekse backen war immer eine schweißtreibende und hektische Angelegenheit. Zimtsterne, Vanillekipferl, Lebkuchen und Linzerräder gehörten zu den üblichen Sorten. Es musste immer schnell gehen, damit das nächste Blech ins heiße Rohr kam. Wir Kinder durften helfen, aber wenn es meiner Mutter zu viel wurde, schickte sie uns mit dem „Reste-Teller“, den zerbrochenen Keksen, ins Wohnzimmer. Erst als Teenager durften wir beim Aufputzen des Baumes helfen. Bis dahin war das Aussehen des Baumes immer eine Überraschung. Manchmal war es ein steirischer Baum, mit den selbst gebundenen Strohsternen, Nüssen, Wichtelmännchen aus Zapfen und Lebkuchen. Aber meistens war es ein gemischter Baum, mit Zuckerln, Kugeln und allerhand kleinen Figuren. Ich liebte immer die Engel am meisten: Die Federflügel, das goldene Haar und die herzigen Gesichter, die oft meine Mutter gemalt hatte.
Der Höhepunkt des Heiligen Abends war immer der Klang des Glöckchens, der uns zur Bescherung rief. Dieses helle Läuten klang wie das Kichern der Engel, die eilig unser Wohnzimmer verließen, nachdem sie den Baum geschmückt hatten.
Splitter dieser Erinnerungen versuchte ich auch mit meinen eigenen Kindern zu erleben. Lange Zeit war es das Christkind, das unseren Baum schmückte. Die Englein halfen, wenn es viel zu tun gab. Und kurz vor dem Läuten, bevor die Kerzen am Baum entzündet wurden, schickte ich die Kinder hinaus ins Freie. Sie sollten sich umschauen, denn die Weihnachtsengel konnten nicht weit weg sein. Vielleicht würden sie ja noch einen Schimmer entdecken. Wenn sie mit roten, kalten Nasen aufgeregt zurückkamen, läutete das Glöckchen zur Bescherung. Und mehr als einmal konnten sie berichten, wenigstens die Spitze eines Engelflügels am Ende der Straße gesehen zu haben.