Wieder ist Weihnachten

Renate Pesl
Zweiunddreißig mal schon haben wir miteinander Weihnachten gefeiert.
Das erste Mal kannten wir uns erst sehr kurz. Beide hatten wir eine Trennung hinter uns, die wir noch nicht ganz verwunden hatten. Wir gingen behutsam und vorsichtig aufeinander zu, halfen uns gegenseitig, in unserem Leben wieder Fuß zu fassen und wagten am Weihnachtsabend, den wir noch jeder mit seiner Familie verbrachten, uns darüber zu freuen, dass es da wieder jemanden gab.
Einige Jahre später feierten wir unser erstes Weihnachtsfest im eigenen Häuschen im Burgenland. Meine jüngere Tochter mit Mann und Kindern war gekommen und meine Ältere mit ihrem Freund. Es herrschte dicke Luft zwischen den Beiden, weil sie gearbeitet hatte und er hätte in der Zwischenzeit zu Hause den Baum schmücken sollen. Nach dem Essen stellte sich heraus, dass Christian den ganzen Nachmittag an der Formulierung seines Heiratsantrages gefeilt hatte!
Der wurde natürlich dann mit Freude angenommen!
Ein anderes Jahr, auch im Häuschen, fuhren wir einige Tage früher hin, um den Baum zu schmücken. Um der Stimmung willen hatte ich eine Kerze angezündet. Bei der Heimfahrt, knapp vor Wien, geriet ich in Panik, weil ich nicht mehr wusste, ob ich die Kerze ausgeblasen hatte. Du hast mich getröstet und nur gesagt: "Na, dann fahren wir halt wieder zurück!“ Im Haus war es noch warm, die Kerze war ohnehin ausgeblasen, wir fuhren dann erst am nächsten Morgen wieder nach Wien.
Ein anderes Mal musste ich am Heiligen Abend noch arbeiten, du warst vorausgefahren, um einzuheizen, das Haus stand ja im Winter wochenlang leer und war eiskalt.
Du meintest es besonders gut und feuertest, dass das Ofenrohr glühte. Als wir alle am Abend ankamen, hatte es einen Wetterumschwung gegeben, es hatte auf einmal 15 Grad plus und wir feierten Weihnachten bei offenem Fenster!
Ein Weihnachtsfest gab es, da hatten wir schon längere Zeit eine Krise. Jeder meinte, der andere wäre schuld und unter dem Weihnachtsbaum machten wir uns gegenseitig Vorwürfe, bis wir beschämt verstummten. Wir sahen uns im Kerzenschein an, und du hieltest mir deine geöffnete Hand hin. Wir fielen uns in die Arme, und der Weihnachtsfriede war endlich auch bei uns eingekehrt.
Viele, viele Weihnachtsfeste haben wir miteinander gefeiert. Immer zuerst bei meinen Kindern und Enkeln, und dann, zu später Stunde, fuhren wir nach Hause und feierten ganz allein UNSER Weihnachten, mit unserem Christbaum.
So sind wir miteinander alt geworden.
Irgendwo habe ich gelesen, eine Form der Liebe ist, wenn man gelernt hat, einander zu ertragen. Und das haben wir! Unsere jeweiligen Schrullen und Eigenheiten, wir haben sie mit Nachsicht und Zärtlichkeit hingenommen, kannten uns so gut, dass oft keine Worte nötig waren, um uns zu verstehen.
Heuer ist das dreiunddreißigste Mal Weihnachten.
Ich werde mit einem Christbaum zu dir kommen.
Auf den Friedhof.
Und ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll.