Weihnachtswunder

Esther M. Djahangiri
Ein längerer Aufenthalt im Ausland bedeutete nicht nur eine wunderbare berufliche Erfahrung, sondern auch eine schmerzliche Trennung von meinen beiden kleinen Kindern. Da ich alleinerziehend war, zogen sie zu den Großeltern. Meine Wohnung borgte ich einem entfernten Bekannten, der im Gegenzug meine Katzen und Pflanzen umsorgte. Ein wichtiger Punkt unserer Vereinbarung war, dass ich die Weihnachtsferien in meiner Wohnung sein konnte, da die Großeltern schon eine Reise gebucht hatten.
Als ich am 23. Dezember mein Zuhause beziehen wollte, staunte ich nicht schlecht, dass der Bekannte noch da war. In einem kurzen Gespräch teilte er mir entschlossen mit, dass er nicht gedenke auszuziehen, da seine neue Bleibe erst Ende Dezember beziehbar wäre. Ich war so verblüfft, dass ich beinahe kampflos das Feld räumte.
Die Wohngemeinschaft in unserem Haus ist außergewöhnlich. Wenn sich Mieter im Stiegenhaus treffen bleibt es selten bei einem oberflächlichen „Hallo“, sondern es entwickelt sich oft ein nettes Gespräch, das nicht selten in einem gemütlichen Kaffeeplausch endet.
Als ich im zweiten Stock eine Mieterin - ich nenne sie Doris - traf, wollte ich es ausnahmsweise bei einem „Fröhliche Weihnachten!“ bewenden lassen, denn ich konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. „Was ist denn mit dir los?“ Doris kam einen Schritt näher und gerührt durch ihre Worte verlor ich die Beherrschung. Unter Schluchzen schilderte ich ihr, dass ich auf Herbergssuche war, dass ich nicht wusste, wie ich meiner Tochter den Traum vom Christkind zerstören konnte, denn Weihnachten in einem Hotelzimmer waren wohl nicht das, was sie erwartet hatte. Doris bot mir an, doch in ihre Wohnung zu ziehen, da sie die Feiertage nicht in Wien verbrachte. Ich verzichtete auf ein höfliches „Das kann ich doch nicht annehmen.“, und fiel ihr einfach um den Hals. Da sie noch ein paar Dinge in ihrer Wohnung zu erledigen hatte, vereinbarten wir, dass sie mir um 18 Uhr die Schlüssel beim Haustor übergeben würde. Es müsse aber schnell gehen, denn sie musste pünktlich zum Zug.
Ich holte meine Kinder ab und überlegte fieberhaft, wie ich es schaffen könnte, am folgenden Tag einen Christbaum zu besorgen und zu schmücken, ohne dass sie es merkten. - Es gab keine Möglichkeit und so erkannte ich einmal mehr, dass ich diese Weihnachten meiner Tochter den Glauben an das Christkind wohl zerstören musste.
Wir sperrten also die Türe zu unserem neuen Zuhause auf und während ich in der Dunkelheit nach dem Lichtschalter suchte, sah ich durch die leicht geöffnete Wohnzimmertüre einen Lichtschein. Wir gingen zum Wohnzimmer, öffneten die Türe und blieben wie angewurzelt stehen. In einer Ecke stand ein riesengroßer, wunderschön geschmückter Christbaum, dessen elektrische Kerzen das Zimmer in ein warmes Licht tauchten.
Wenn ich heute an diesen Moment zurückdenke, höre ich ganz klar die Stimme meiner Tochter, die verzaubert ausrief: „Das Christkind war da!“