Vom Christkind vergessen

rebella-maria-biebel
Um 3 Uhr nachmittags kam das Christkind zu Oma und Opa in die Zentagasse, und um 6 Uhr war es in der Wienzeile in meinem Elternhaus. Darauf war Verlass, vielleicht noch mehr als auf den weihnachtlichen Schnee. Ich glaube, wir sind damals wirklich jedes Jahr mit der Rodel zum ersten Christkind gefahren, am Gehsteig neben dem Wienfluss lag genügend Schnee, und mein großer, starker Bruder zog mich am Schlitten. Jedenfalls läuft dieser Film in meiner Erinnerung immer so ab. Und alljährlich kamen wir bei diesem Weinhaus vorbei.
Damals waren am Heiligen Abend alle Gasthäuser geschlossen, nur dieses Weinhaus Ecke Linker Wienzeile und Hofmühlgasse war geöffnet. Ein Platz zum Aufwärmen für die Ausgegrenzten. Und wenn ich da so voller Vorfreude aufs Oma-Christkind durch den knirschigen Schnee gezogen wurde, packte mich dort jedes Mal eine große Traurigkeit. Mama wusste das schon, sie ging dann ganz nah neben mir, um mir möglichst die Sicht auf das hell erleuchtete Weinhaus zu nehmen. Es nützte nichts, jedes Jahr kam meine Frage.
“Kommt zu denen kein Christkind?”
Papa schien jedes Mal leicht verärgert, Mama zuckte mit den Schultern und meinte vielleicht doch, später. Ich fand aber, dass die Menschen da drin so traurig aussahen, da war kein bisschen Vorfreude aufs Christkind. Wie in einer Auslage kamen sie mir vor. Drinnen war Licht aufgedreht, aber die Vorhänge waren offen. Nur Männer saßen da und kaum je sah ich zwei an einem Tisch. Jeder für sich allein hielt sich an seinem Weinglas fest und sah hinaus auf die Wienzeile. Da ging eine Familie, einer zog eine Rodel, auf der ein kleines Mädchen saß, freudig wippend, am Weg zum Christkind. Wie lange wars bei ihnen her, dass sie am Heiligen Abend voller Vorfreude auf das Christkind gewartet hatten…
Helmut zog mich über die Pilgrambrücke, ich drehte mich um, sah die einzelnen Gesichter, wie sie uns bedrückt nachsahen und wollte ihnen so gern irgendetwas geben. Bis in die Zentagasse dachte ich an diese traurige Auslage, aber dann wuchs meine Neugier auf das Oma-Christkind und ob ich es diesmal endlich sehen würde? Denn sobald es im Wohnzimmer klingelte, riss ich die Tür auf…. und sah doch immer nur einen weißen Zipfel am Fenster vorbeihuschen.
Am Rückweg, vor 6 Uhr abends, kamen wir wieder am Weinhaus vorbei. Nun waren die Vorhänge zugezogen und ich hatte Sackerln mit Keksen und Geschenke auf meiner Rodel. Da kam ein Mann aus dem Lokal und bleib unschlüssig vorm Eingang stehen. So schnell konnte Mama mich gar nicht aufhalten, sprang ich vom Schlitten und lief zu ihm.
“Schau, vom Christkind für dich!” sagte ich und gab ihm das Sackerl mit meinen Keksen, wir hatten ja daheim noch genug davon.
Sein erstauntes Lächeln werde ich nie vergessen. Und als ich zum Schlitten zurückkam, da stand in den Gesichtern meiner Familie dasselbe lächelnde Staunen. Ich hatte Herzklopfen. Auch vor Stolz. Ich hatte grad etwas getan, das sich verdammt gut und richtig anfühlte, ich hatte Freude bereiten können…