BAUM

Matrixe
Wir schreiben das Jahr 2020.
Genauer - wir schreiben den 10. Dezember 2020 und mein Weihnachtsbaum steht. Und wie er steht. Stolze 210 cm, grün, geschmückt, perfekt in Form. Scheinbar für die Ewigkeit!
Gestern saß ich mit meiner Tochter beim Frühstück. Wahrscheinlich schwebten noch die letzten Weihnachten in unsren Gedanken. Diese haben wir beide komplett verbockt. Ich kaufte einen mickrigen kleinen lebenden Christbaum, der bereits mit 5 Kugeln und einer Spitze vollends geschmückt war. Sie - nach einem Blick darauf - meinte: „Ernsthaft?“ Ich: “Ich will diese überteuerten mafiösen Christbaumhändler nicht mehr unterstützen und am 25.12 in einem Nadelberg verschwinden.”
In Wien darf man diese Ungetüme dann lieblos auf eine Sammelstelle tragen und das war's dann. 90€ für den Müll!
Manche meiner Hausbewohner entsorgen ihren Baum auch bei uns im Hof. Ich schreibe dann gerne Briefe wie: “Gelegentlich bringe ich den Baum. Jedoch hole ich ihn nicht mehr ab. Liebe Grüße vom Christkind!”
Nun. Am 24. 12 ging ich mit ein paar Freundinnen kurz vor Schließung zum Rathaus. Wir tranken 2 Punsch und entließen uns dann mit: “Frohe Weihnachten. Augen zu und durch!”
Meine Augen letztes Jahr waren allerdings weit offen. Mein lebender Baum war in dieser Stunde entsorgt worden und es stand ein toter Baum da. Schön ja, aber wieder ein Ungetüm. Ich war hin- und hergerissen. Der restliche Abend ein Desaster. Meine Wohnung, mein Wunsch übergangen. Meine Stimmung im Keller. Am 25. 12 wieder traditionelle Entsorgung, die ich abermals erledigen durfte. Nadeln, Harz und Müll, wohin mein Auge blickte.
Nun zurück zu gestern. Meine Tochter meinte: „Was hältst du von einem Fake Baum?“ Ich: “Plastik? So richtig Plastik?” Ich konnte es nicht fassen. SIE, die Traditionelle möchte einen falschen Baum!
Gesagt getan. Ich ließ den Auserwählten im Baumarkt reservieren. Holte ihn ab und überlegte noch kurz wie im Film “Pretty Woman” beim Christbaumverkäufer mit der Kiste voller Plastiknadeln vorbeizugehen und zu sagen: „Hier kaufe ich nicht mehr. Blöd, WIRKLICH blöd!“
Ich aber eilte nach Hause. Der Baum - dreiteilig war in 5 min aufgestellt. Wir formten noch die Äste, schmückten und nun steht er da. Mein Bruder meinte, ich solle ihn genau SO dann aufbewahren - geschmückt. Klarsichtfolie und eventuell noch eine Abdeckung. Und ihn die nächsten 360 Tage in eine Ecke schieben. So wäre natürlich das nächste Weihnachten wirklich kalkulierbar. Ich überlege noch!
Nun wir schreiben das Jahr 2020. Das seltsamste Jahr meines Lebens. Und ich erfreue mich am seltsamsten Baum des Jahres. Der seltsamerweise genauso perfekt dazu passt. Ich habe vieles nicht geglaubt, aber dass nun in familiärer Eintracht so etwas beschlossen wurde, finde ich geradezu den krönenden Abschluss von 2020.
Und die Tannenbäume? Die sehe ich mir lieber lebend im Wald anstatt tot zu Hause an.
Er duftet übrigens nach: EWIGKEIT!