(K)eine stille Nacht

Emma Breuninger
Die “Taberna griega Syrtaki” befand sich im Stadtteil Cuauhtémoc in Mexiko-Stadt. Am Samstag, 15. Dezember 1984 feierte sie Geburtstag – sie wurde ein Jahr alt. Und das durften wir uns nicht entgehen lassen. Pünktlich waren wir dort. Nur mein Kollege Georg kam, wie immer, verspätet und tauchte mit Freundin erst eine Stunde später auf. Der Preis für den Eintritt beinhaltete das Essen und freie Wahl an der Bar.
Wir hatten sicherheitshalber reserviert. Man setzte uns an einen großen Tisch, ein sehr internationaler Tisch: Mexikaner, eine Französin, ein Ehepaar aus Kairo, ein Paar aus Griechenland und wir. Das war so ganz nach meinem Geschmack – je internationaler, desto besser. Direkt vor uns war die kleine Bühne aufgebaut. Es ging auch gleich los mit Musik aus vielen Ländern: Czardas, Syrtaki, Kasatschok usw. Der griechische Besitzer der Taberna und seine mexikanische Frau tanzten dazu. Eine Folklore-Gruppe, Mexikaner in griechischen Trachten, zeigten ihr Können. Sehr bald schon fingen wir an, ganz nach griechischer Tradition, vor lauter Begeisterung unsere Teller auf die Bühne zu werfen, die dort mit lautem Krach zerbrachen. Der Mexikaner an unserem Tisch ergriff einen Teller rechts neben ihm, warf diesen in Richtung Bühne, drehte sich zu Georg um und meinte: “Oh, sorry, das war ja deiner”. Georg sollte gerade seinen Salat serviert bekommen und fand das jetzt nicht so toll. Ich gab ihm schnell meinen Salatteller.
Das Konzert ging weiter mit Antonio Vivaldis “Frühling”, Händels “Tochter Zion”, Jingle Bells, wieder ein Czardas, “Materi Katjuscha” (Kasatschok), “Ich bin ein Mädchen aus Piräus” und “Подмосковные Вечера” (Podmoskowskije Vetschera) – im Deutschen bekannt unter “Moskauer Nächte”. Da sang ich besonders laut mit. Man wollte mir das Mikrofon reichen, doch Gott sei Dank hatte der ältere Grieche neben mir eine stärkere und viel bessere Stimme. Er übertönte mich. Das war besser für die Ohren der anderen.
Wir drängten uns auf der engen Bühne, tanzten voller Leidenschaft. Beim Kasatschok ging mir fast die Luft aus. Nun ja, auf 2240 m über dem Meeresspiegel, auf denen sich Mexiko-Stadt befindet, darf das schon mal passieren.
Weit nach Mitternacht wurde es ruhiger. Wir setzten uns wieder an unsere Tische, das Licht ging aus, nur noch die Kerzen brannten. Man spielte Weihnachtslieder aus den verschiedensten Ländern, wir sangen alle mit. Und dann kam der Höhepunkt des Abends, den ich nie vergessen werde: Wir sangen gemeinsam “Stille Nacht, Heilige Nacht” und das jeder in seiner Sprache - deutsch, französisch, arabisch, griechisch, spanisch, ja sogar hebräisch. Ein Moment, der uns alle sehr emotional bewegte. Noch heute muss ich an diesen Moment denken, wenn ich dieses besondere Weihnachtslied höre.