Nicht nur zur Weihnachtszeit

Klaus Schedler
„Die Deutschen singen am meisten zu Weihnachten oder wenn sie in den Krieg ziehen.“ Dieses Zitat entstammt Ulrich Schamonis Film „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ aus dem Jahr 1967. Ein markanter Beitrag zur Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte. Handlungsort ist Münster in Westfalen, meine Heimatregion also und nicht nur deshalb habe ich zu diesem Film seit jeher eine besondere Beziehung.
Als Musikliebhaber verabscheue ich ihren zweckentfremdeten Einsatz zu politischen Zwecken. Beim Abspielen von Nationalhymnen überkommt mich ein leises Grauen, was noch gesteigert wird, wenn ich auf die teilweise schwülstigen und oft auch aggressiven Texte schaue. Deutschland hatte im vergangenen Jahrhundert über einen längeren Zeitraum sogar zwei Hymnen: Im Westen das Deutschlandlied und im Osten die sog. Becherhymne. Bei ersterer durfte man nur die dritte Strophe und bei letzterer bald überhaupt nichts mehr singen. Für friedenvolle Weihnachtsfeste dürfte das jedoch von Nutzen gewesen sein.
Jeder Österreicher weiß, dass die Melodie zum Deutschlandlied einstmals zur Kaiserhymne gehörte. Die war nach der Monarchie frei und die Deutschen hatten damals auch genug von ihrem „Heil dir im Siegerkranz“. Viel zu wenig ist bekannt, dass sich Joseph Haydn auf Schloss Esterhazy bei der Kaiserhymne von einem kroatischen Volkslied hat inspirieren lassen. Man sollte sich also nicht wundern, wenn österreichische Burgenland-Kroaten zur Melodie des Deutschlandliedes ihr „Vjutro rano se ja stanem …“ (Früh am Morgen, wenn ich aufsteh …“) singen. Nach zeitgeistigem Sprachgebrauch keine „politisch motivierte Gesangsmanifestation“. Schön!
Anders verhält es sich mit Weihnachtsliedern, bei denen es sich eigentlich um „religiös motivierte Gesangsmanifestationen“ handelt. Teilweise sogar mit gewaltverherrlichenden Forderungen wie „… reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab wo Schloss und Riegel für“. (Friedrich Spee 1622). Ist da nicht gar unsere innere Sicherheit gefährdet? Tatsächlich ist Weihnachten nicht Easy-Cheesy: Das begreift jeder, der das Magnifikat (Lk 1,46–55) aufmerksam z.B. in der Luther-Übersetzung gelesen hat, wo es heißt „Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen führt er zu Gütern und lässt die Reichen leer.“ Na, da könnte so manchem doch gleich ganz anders unterm Christbaum werden!
Doch es gibt auch Weihnachtslieder, in denen die Frohe Botschaft kaum mehr zu erkennen ist. „Leise rieselt der Schnee“ beispielsweise verbannt das Christuskind in die letzte Zeile und im Lieblingslied der Deutschen „O Tannenbaum“ ist sogar überhaupt kein christlicher Bezug mehr vorhanden. Wer das so will, könnte es wie viele Briten machen: Die singen nämlich nach dieser Melodie die Hymne der der Labour Party „The people's flag is deepest red, …“. Ausdruck einer anderen Erlösung der Menschheit.