Sachensucherinnen

Sabrina Farkas
Meine Mama und ich bezeichnen uns gerne als Sachensucherinnen, seit wir in meiner Kindheit die „Sturm-Stina“ von Lena Anderson aus der Bücherei entlehnt haben – immer und immer wieder, weil wir beide die Geschichte des kleinen Mädchens, das nach stürmischen Nächten an der Küste am nächsten Tag das Ufer nach Schätzen absucht, so faszinierend fanden.
Das Muschelsuchen war natürlich ein fester Bestandteil unserer Strandurlaube, die Mama uns jedes Jahr trotz Alleinerzieherinnen-Status ermöglichte. In den 90ern fand man an Mittelmeerstränden noch bunte, vielfältige Muschelschalen und wir schmückten damit Sandburgen. Die schönsten nahmen wir mit nach Hause, „damals“ dachte dabei noch keiner an die negativen Auswirkungen.
Die Kleidung, die wir trugen, besaßen wir großteils nicht als Erste. Weder Mama noch ich waren je topmodisch gekleidet, doch sahen wir auch niemals verwahrlost aus. Als ich alt genug war, selbst zu entscheiden, was ich tragen wollte, lernte ich rasch, dass das Einkaufen in Second Hand Läden und Tauschzentralen nichts war, das man an die große Glocke hängte. Wir senkten den Kopf, wenn wir ein solches Geschäft betraten. Vermieden es, Läden im Umkreis der Wohnungen Bekannter zu besuchen. Studierten die Marken, die in unseren neuen, alten Kleidungsstücken eingenäht waren, denn so konnten wir wahrheitsgemäß antworten, ohne die ganze Wahrheit preiszugeben, wenn jemand fragte: „Oh, von wo ist das denn?“
Noch heute wühlen wir gerne durch die Berge, die sich häufig auf Flohmärkten auftürmen. Inspizieren Bücherschränke nach literarischen Leckerbissen. Bücken uns, wenn auf der Straße etwas glitzert. Mit einem feinen Unterschied: Inzwischen ist Second Hand Trend geworden. Es vermeidet Müll, reduziert Kinderarbeit, schont die Umwelt durch entfallende Transportwege. Gebraucht ist das neue Neu! Wir ziehen unsere Köpfe nicht länger zwischen die Schultern, wenn wir auf Schatzsuche gehen. Und wenn eine dann einen Glücksgriff landet, freut sich die andere gleich mit.
Heute sind mein Mann und ich losgezogen, meiner Mama ein kleines Weihnachtsgeschenk zu besorgen. Drei neue Kaffeebecher sollten es werden, farblich passend zu ihrem braunen und lachsfarbenen Wohnzimmer. Nicht zu groß und nicht zu klein sollten die Tassen sein. Wir sahen uns in Möbelhäusern um. In einem großen Supermarkt. In Ramschläden. Nachdem wir den letzten Standort abgehakt hatten, standen wir noch immer mit leeren Händen da. „Es sind ja noch ein paar Tage Zeit“ trösteten wir uns.
Bevor ich mich auf den Heimweg machte, wollte ich noch ein Buch von einer netten, jungen Frau abholen, die anlässlich ihres Umzuges einige Gegenstände als „zu verschenken“ inseriert hatte. Sie lud mich ein, mich abgesehen von dem Buch noch weiter umzusehen – und da waren sie. Drei perfekte, zartorangene Kaffeebecher in der optimalen Größe. Und das Schönste daran: Wenn Mama erfährt, wie ich sie gefunden habe, wird sie sich mehr freuen als über jeden Neukauf.