“Ist da jemand?”

Margit Berger
“Hiiiiilllfffeeeeeeeee!” Der Bub hob den Kopf. Lauschte. Hatte er da eine Stimme gehört? Er horchte noch einmal. Aber der kleinere Bruder wollte partout den Schlitten, zerrte und zerrte mit lautem Gezeter. “Sei stad” und als er keinen Erfolg hatte noch einmal. “Sei stad, I hear wos?!" und hielt dem kleinen Bruder den Mund zu. Und tatsächlich. Da klang es wieder das “Hiiiiilllfffeeeeeeeee!” Leise und durch den Schnee gedämpft. Er rannte zur Straße, aber da war eine Wechte, meterhohe Schneemasse, die ihm den Weg versperrte. „Wo kam die Stimme her?“ Er spürte, da war jemand in Not. So rasch er konnte lief er zurück zum Hof. “Papa, Mama, Oma!” und schrie so laut er konnte, aber keines der Fenster öffnete sich. Der Schnee verschluckte die Lautstärke der Stimme, die er jetzt kaum mehr wahrnehmen konnte. Rasch stampfte er die Stiegen zum Eingang pochte, pochte mehrmals an die Tür, die versperrt war, wie es am Heiligen Abend hier der Brauch war. “So heart mi denn koana?!" Tränen schossen ihm in die Augen. Da fiel ihm die Rettung ein: ein Schneeball! Er drückte in Windeseile einen dicken festen Ball und schleuderte ihn gegen das Fenster. Fehlschuss! Noch einmal knetete er eine Schneekugel und diesen schleuderte er ganz fest gegen die Scheibe.
“Geh, weida, loss des, gehst spüln„, rief die erboste Stimme der Mutter, “du schiaßt uns jo no d'Scheibn ein! Do bringst Christkindl nix!" Und schloss wütend das Fenster. Der Bub war verzweifelt. Da fiel ihm ein, dass ja Opa im Stall am Heiligen Abend den Kühen extra Fressen gab und räucherte. Vielleicht hatte er Glück? Und tatsächlich, im Stall schien Licht. Über hohe Schneemassen kämpfte er sich zur Stalltür, öffnete und schrie: “Opa, Opa, kimm schnöll, do draußt schreit ana um Hülf!" Der alte Hochalmbauer folgte rasch dem Wunsch des Buben, der schon wieder verschwunden war.
Es muss in den 1960er oder 70er Jahren gewesen sein, als mein Vater im tief verschneiten Lunz am See noch zwei Packerln am Heiligen Abend austragen wollte. Drei Meter Schnee waren gefallen. Er fuhr auf vereisten Straßen, so weit er mit seinem Puch-Moped kam, in Richtung Hochalm. Ein Bauernhof mitten im Wald auf rund 1.500 m Höhe. Im Sommer eine herrliche Almwiese, Grün wohin das Auge blickt, im Winter meterhoch Schnee. Wenn der Wind stürmt, verschwinden die Zufahrtsstraßen unter meterhohen Schneewechten. Durch diese hatte er sich gekämpft, den Halt verloren, wollte aber die Packeln nicht auslassen. Es war bereits dunkel und im Weiß des Schnees hätte er sie nicht mehr gefunden. Jetzt lag er da wie ein Maikäfer am Rücken konnte nicht auf, nicht vor und nicht zurück. Konnte sich nicht abstützen, da er nur eine Hand hatte. Aber jetzt hörte er Stimmen, die eines Kindes und ja, des alten Bauern: “Is da jemand?” mit letzter Kraft schrie er noch einmal. "Jo, do bin I. I bins, da Gustl! Der halberfrorene Briefträger wurde zum gemeinsamen Abendessen eingeladen und durfte den Heiligen Abend auf dem Hof verbringen.