“Stille Nacht” im Häfn

PoeSy
In meiner frühen Jugend sang ich im örtlichen Jugend-Chor und spielte in der Laienschauspielgruppe. In der Adventzeit hatten wir viele Auftritte bei diversen Weihnachtsfeiern, um diesen eine besinnliche und auch fröhliche Note zu verleihen. Im Chor wurden Weihnachtslieder gesungen, die Theatergruppe gab ein besinnliches Stück zum Besten. Es waren stets schöne und berührende Momente, wenn spätestens bei “Stille Nacht” die Lichter im Saal aus-, und auf dem Christbaum angingen. Dann begannen Augen zu glänzen, etliche Tränen wurden verdrückt.
Jedes Jahr, kurz vor dem 24. Dezember wurden wir eingeladen, im Gefängnis aufzutreten. Das war immer eine ganz besondere Weihnachtsfeier für alle Beteiligten! Es gab dort einen Saal und eine kleine Bühne. Der Saal im Häfn war, nicht dunkel wie sonst, sondern hell beleuchtet - wohl aus Sicherheitsgründen. Für uns deshalb anders erlebt, weil wir in diesem Fall unser Publikum von der Bühne aus sehen konnten. Wir erkannten viele Uniformen, aber auch viele Männer jeden Alters. “Richtige Kerle” saßen da unten in den Sesselreihen! Tattoos waren damals noch nicht modern, sondern eher ein “Zeichen” eines besonderen Lebens. Hier hatten wir jedenfalls nicht mit Seefahrern zu tun!
Während des Theaterstücks konzentrierten wir uns wenig auf das Publikum, weil wir auf der Bühne immer in Bewegung waren. Trotzdem konnten wir die einzigartige Stimmung im Saal spüren. Später beim Singen, wanderten unsere Blicke zu den Menschen, die zuhörten. Beim Anblick mancher Typen dachte ich an Worte wie: “Dem möchte ich lieber nicht alleine begegnen!” Hier wurden sie jedoch gut “bewacht”, wir hatten keine Bedenken. Von allen Aufführungen in dieser Zeit war die Stimmung im Gefängnis eine ganz besondere. Da saßen Männer im Saal, die ihre Strafe absitzen mussten, weil sie für eine Straftat verurteilt geworden waren. Ihre Gesichter verrieten nicht, was sie angestellt hatten, sie spiegelten allerdings, dass da Menschen mit Gefühlen unseren Liedern lauschten. Wohl beinahe jeder von ihnen hatte eine Familie zu Hause, viele vermutlich auch eigene Kinder. Wir konnten förmlich spüren, was wir mit unserem Spielen und Singen auslösten. Augen begannen zu glänzen, harte Gesichtszüge schienen sich zu entspannen. Nach den ersten Noten von “Stille Nacht” saßen da harte Kerle, die in Taschentücher schnupften und weinten! Es war Gänsehaut pur, so echt! Dann Riesenapplaus, Bravo-Rufe! Für uns ein spezielles Gefühl von Weihnachten - für unser dankbares Publikum im Häfn wohl auch.
Von den unzähligen Auftritten in meiner Jugendzeit, sind mir diese “Häfn-Weihnachtsfeiern” besonders berührend in Erinnerung geblieben, und das nicht wegen der Lindt-Schokolade, die wir fürs Singen bekamen! So jung wir damals auch waren, wussten und spürten wir, dass es im Leben immer darum geht, dass wir alle Menschen mit Herz und Gefühl sind, auch wenn der eine oder andere irgendwann in seinem Leben gestrauchelt war.