Die Krippenmacherin

Honigmund
Es war so eine ganz normale Einladung zu einem Spaziergang. „Komm doch du zu mir. Wir könnten rund um den Leopoldskroner Weiher gehen", meinte meine Freundin Andrea. Immer schön denke ich und sage zu. Ein bisschen zu spät läute ich an der Tür. Andrea öffnet und führt mich in die Küche. Es ist früher Nachmittag und irgendwie ungewöhnlich dunkel hier drin. „Magst einen Kaffee, bevor wir gehen?“, höre ich sie fragen, doch längst sind meine Augen auf etwas Beleuchtetes gestoßen. „Wow ist die schön!“, rufe ich. Kaum, dass ich mich zu diesem Krippen-Kunstwerk gebeugt habe, meint Andrea: „Musst mal lesen, was da steht.“ Steindl Alm, steht da über dem Eingang ins Häuschen. Mein Gott, denke ich, diese wunderschöne Krippe trägt meinen Namen. Wäre da nicht die Sache mit dem Abstand halten, ich hätte sie umarmt, gedrückt, ja abgebusselt. So aber schenke ich Andrea ein Flugbusserl und tausend danke, danke, danke! „Schau mal, da liegt dein Buch SOLO Steindl am Tisch, in das du immer deine schönen Geschichten schreibst.“ Tatsächlich! Vor dem Hüttenfenster auf dem Tisch liegt ein aufgeschlagenes Buch und da steht klitzeklein: SOLO Steindl. Nach und nach erkenne ich die handelnden Personen im Krippenkunstwerk. Da steht Andreas, mein Mann, mit seinem für ihn typischen Kaiser Franz Josef Bart, seine Pfeife im Mund und natürlich das Gewehr bei Fuß. Anscheinend war er bei der Jagd erfolgreich, denn zu seinen Füßen liegt der erlegte Hirsch. Justus, unser Hund, ist natürlich im Einsatz. Daneben Maximilian, meinen ältesten Sohn in Lederhose und Hemd, den Rucksack umgeschnallt und den Bergstecken in der Hand. Ja, und da steht Alexander, mein Zweitgeborener mit einem Stapel Holz in der Hand. Ich kann mich kaum sattsehen an all diesen, bis ins kleinste Detail so realistisch dargestellten Figuren. Jetzt entdecke ich mich. Schön hat sie mich gemacht mit grauem Kleid, grüner Schürze und passenden Schuhen mit silbernen Schnallen. Die blonden Haare trage ich hochgesteckt, im Arm einen Korb voller Hühnereier. “Danke”, flüstere ich zutiefst gerührt. Dass Josef, Maria, das Jesuskind in der Krippe, die Schafe und der Esel natürlich vorhanden, aber momentan eine untergeordnete Rolle spielten, sei mir bitte verziehen.
Mittlerweile hat die Krippe einen zentralen Platz in unserem Wohnzimmer eingenommen. Auch unser junger Jagdhund fand – auf seine Art – schonen Gefallen an ihr. In einem unbemerkten Augenblick entwendete er ein Schaf und zerlegte es bis ins kleinste Detail. Totalschaden sozusagen. Und sei das nicht schon genug des Übels, so biss er meinem Sohn Alexander auch noch den Kopf ab. Das Schaf ersetzt, der Kopf wieder angeklebt präsentiert sich die Krippe nun wieder im vollen Glanz.
Jeden Abend, wenn es draußen finster wird, schalte ich die Beleuchtung meiner Steindl Alm ein, bewundere die liebevolle Arbeit und denke: Gut, dass ich eine Krippenmacherin zur Freundin habe.