Schulstart: Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf

Seit dem 18. Mai 2020 gelten nach der Wiederöffnung in Integrationsklassen und Sonderschulen die gleichen Hygiene- und Sicherheitsvorschriften wie in anderen Schulen. Sicherheitsabstände können dort aber nur schwer eingehalten werden. Der Spagat zwischen gewohnter Struktur und neuen Maßnahmen ist eine tägliche Gratwanderung.

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Geteilte Schulklassen, Abstandsregelungen, regulierter Zutritt in die Schule, gestrichene Unterrichtsfächer, Hygienevorschriften und Schutzmaskenpflicht: Der Unterricht ab Montag wird völlig anders ablaufen als vor Ausbruch des Coronavirus. Das Bildungsministerium hat für Schulen dazu ein 25 Seiten umfassendes „Hygienehandbuch“ vorgelegt.

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Je älter die Schülerinnen und Schüler sind, desto eher können sie die geforderten Maßnahmen nachvollziehen und berücksichtigen. Vom Alter alleine wird es aber nicht abhängen, inwieweit sich die Bestimmungen in der Praxis umsetzen lassen und vor welche Herausforderungen sie das pädagogischer Personal stellen.

 

Belastende Situation für Eltern

Viele Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung waren in den letzten Wochen massiv gefordert und standen unter Druck. Kinder und Jugendliche mit körperlichen Behinderungen sind oft auf aufwendige Pflege rund um die Uhr angewiesen. Vor allem Eltern, die aufgrund der Coronapandemie von zuhause aus arbeiten mussten, wurde in den vergangenen Wochen eine logistische Meisterleistung abverlangt. Hinzu kommt, dass einige Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung als CoV-Risikopatienten gelten und dementsprechend besonders vor einer Infektion geschützt werden müssen.

Sonderschulen als besondere Herausforderung
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Was ist Kindern und Personal „zumutbar“?

Das „Hygienehandbuch“ enthält einen Passus, dass bei Kindern bzw. Jugendlichen „mit besonderen Bedürfnissen oder individuellen Schwierigkeiten nicht davon ausgegangen werden kann, dass all diese Maßnahmen umgesetzt werden können bzw. wird dies natürlich auch nicht von den zuständigen Pädagoginnen und Pädagogen verlangt.“ Den Empfehlungen sei in einem Ausmaß zu folgen, das die (alters-) spezifischen Bedürfnisse der Kinder erfüllt bzw. ihre größtmöglichen Schutz sowie den Schutz der Pädagoginnen und Pädagogen sicherstellt.

Für die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen bleibt also Interpretationsspielraum. Den Schulen ist es in vielen Details damit selbst überlassen, inwieweit gewisse Anforderungen auch praktisch umsetzbar sind. Notwendig ist das unter anderem deswegen, weil die jeweiligen Voraussetzungen an den Schulen stark variieren und von Standort zu Standort beurteilt werden müssen – abhängig auch von der Anzahl und dem Alter der Schülerinnen und Schüler oder etwa den räumlichen Gegebenheiten. In der Planung führt das in den Schulen dennoch zu der einen oder anderen Verunsicherung.

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Abstandsregel nicht immer einhaltbar

In der Sonderschule in St. Christophen (Bezirk St. Pölten) erwarte man den Montag „mit Spannung“, so Schulleiterin Gertraud Bauer-Fitz. „Wir werden natürlich versuchen, im Unterricht so weit wie möglich Abstand zu halten. Immer wird das aber nicht möglich sein, weil manche Kinder den direkten Kontakt und das nebeneinander Arbeiten oder nebeneinander Hergehen brauchen.“ Um Gruppenbildungen zu vermeiden und die Ansteckungsquellen durch mangelnden Abstand möglichst zu minimieren, entschloss man sich in der Sonderschule Ollern (Bezirk Tulln) beispielsweise dazu, Spielsachen weitestgehend wegzuräumen. Die Spielecken, in denen vor zwei Monaten noch Bausteinen oder Tierfiguren zur Verfügung standen, sind jetzt leer. Außerdem setzen die Pädagoginnen in den nächsten Wochen ausschließlich auf Materialien, die sich nach dem Gebrauch desinfizieren lassen. Anders sieht die Situation in St. Christophen aus, wo Spielzeug nach wie vor in den Klassen zu finden sein wird.

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Änderungen im Sonderschulbereich besonders heikel

Die Eltern wurden über die Änderungen im Vorfeld informiert und dazu angehalten, mit den Kindern etwa das Tragen von Schutzmasken zu üben und auch die Neuerungen in der Schule gemeinsam zu besprechen, erzählt Helga Diensthuber, Direktorin der Sonderschule Ollern. Weil ein großer Teil der Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen aber mitunter große Schwierigkeiten hat, sich auf Änderungen einzustellen, stellt sich Diensthuber besonders zu Beginn auf Irritationen und Konflikte ein. „Die Schüler kommen zurück und die Schule wird nicht mehr die Schule sein, die sie kennen. Ich bin mir nicht so sicher, ob das den Kindern so bewusst ist wie uns.

Zwar ist Diensthuber wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen optimistisch, dass viele Änderungen auch klappen können, was es in den Sonderschulen dazu aber speziell brauchen werde, ist Zeit. In der ersten Schulwoche rechnet sie in nicht mit „Schultagen“. Erst ginge es darum, die Änderungen mit den Kindern zu besprechen und „zu trainieren, damit das wirklich klappt mit dem Abstand oder Händewaschen. Damit haben wir vorerst genug Aufgaben. Das Lernen wird dabei nicht im Vordergrund stehen.

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Maskenpflicht und neu geplanter Transport zur Schule

Das Tragen der Schutzmasken ist ein weiterer Punkt, der mancher Lehrperson noch Kopfzerbrechen bereitet – nicht nur in der Frage, ob die Kinder die Masken tragen. Auch bei den Lehrkräften seien Gesichtsschilder „praktikabler“, sind sich viele einig. „Besonders im Sonderschulbereich müssen die Kinder auch den Mund und die gesamte Mimik sehen können“, erklärt Bauer-Fitz. Je nach Ausprägung der Behinderung oder Beeinträchtigung sei die Kommunikation mit Maske bei manchen Kindern nicht möglich. Sowohl in Ollern als auch in St. Christophen wurden bereits Gesichtsvisiere für die Lehrpersonen bestellt. Derzeit hofft man noch auf eine rechtzeitige Lieferung bis Montag.

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Auch der Schulweg bzw. der Transport zu den Bildungseinrichtungen wird ab kommender Woche teilweise anders vonstattengehen müssen. Weil viele Sonderschulkinder keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen können und ein Teil der Kinder mit speziellen Fahrtendiensten transportiert wird, waren die Sonderschulen und Eltern im Vorfeld gefragt, geeignete Lösungen zu finden. Fest steht jedenfalls, dass die kleinen Transportbusse, mit denen viele Schülerinnen und Schüler üblicherweise in die Schule kommen, ab Montag deutlich weniger Kinder mitnehmen dürfen.

pixabay/klimkin

Erleichterung bei der Betreuungssituation

Trotz der vielen Änderungen und teilweisen Unklarheit, wie die Kinder mit ihrem neuen Schulalltag zurechtkommen werden, sei ein großer Teil der Eltern froh, dass der Unterricht wieder im Klassenzimmer stattfinde, sagt Diensthuber. „Es sind die Eltern generell sehr zufrieden gewesen mit dem Homelearning. Aber ich merke speziell bei Familien mit Kindern mit erhöhtem Förder- oder Pflegebedarf, dass die Eltern am Limit sind. Sie warten schon, dass wir wieder beginnen und die Kinder in die Schule zurückkehren können.

Die meisten Sonderschulen starten nur mit einem Teil der Schülerinnen und Schüler. Speziell jene mit schwereren Formen der Beeinträchtigung gehören selbst einer Risikogruppe an und werden vor dem Sommer nicht in die Klassen zurückkehren. „Manche kommen auch erst mit etwas Verspätung Anfang Juni. In diesen Fällen wollen die Eltern erst abwarten, wie sich die Lage entwickelt“, so Bauer-Fitz.

 

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