Oma, Blut und Weihnachten

Kristina Fenninger
Die Advents- und Weihnachtszeit ist ihr immer sehr wichtig, meiner Oma. Im Spätsommer erntet sie Holunderbeeren und macht daraus einen bereits weihnachtlichen Likör mit Zimt und Vanille. Kurz vor dem ersten Advent geht sie in den Wald und holt Daxen, mit denen sie die Stube schmückt. Natürlich werden auch Kekse gebacken. Zu dieser besonderen Zeit ist es bei meiner Oma immer ausgesprochen gemütlich.
Wir schreiben das Jahr 1998. Einen Monat vor Weihnachten kommt mein Opa bei einem tragischen Unfall viel zu jung ums Leben. Doch auch in diesem Jahr sind Oma ihre Rituale sehr wichtig. Sie geben ihr Halt und Kraft.
Viele Schicksalsschläge muss sie im Laufe der Zeit einstecken. So ist auch das Jahr 2018 ein für uns als Familie sehr herausforderndes. Ich erkranke an einer akuten Leukämie. Oma leidet sehr darunter.
Doch auch in diesem Jahr hält sie an ihren Bräuchen fest. Sie macht Likör, den ich so sehr liebe. Sie schmückt. Sie bäckt.
Es sind noch ein paar Wochen bis Weihnachten, als ihr der Arzt dringend zu einer Darmspiegelung rät. Sie selbst war es, die Blut in ihrem Stuhl gesichtet hat. Sie ist folgsam und lässt die Untersuchung über sich ergehen. Oma ist ja wirklich überhaupt nicht wehleidig. Doch erzählt sie, wie unangenehm und grausig die Spiegelung war. Wenige Tage vor dem Fest dann die Entwarnung. Es ist alles in Ordnung. Voller Freude macht sich Oma an den Weihnachtseinkauf. Als sie dann Rana, also Rote Beete entdeckt, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. „Was bin ich nur für ein Rindvieh?“, sagt sie so laut, dass die anderen Einkäufer sie verblüfft anschauen. Jetzt weiß sie, was ihren Stuhl gefärbt hat und ihn so aussehen ließ, als wäre Blut drinnen gewesen. Sie lacht laut auf. Freudig gibt sie dieses Wintergemüse, das sie so sehr liebt, in den Einkaufswagen.
Wenige Tage später ist Heiliger Abend. Oma macht sich besonders hübsch, denn es gibt allen Grund zu feiern. Nach der Kinder-, denn die Mitternachsmette ist ihr zu spät, geht sie zu Fuß nach Hause. Das Dorf ist weihnachtlich beleuchtet. Vor den Häusern stehen brennenden Kerzen. In Oma macht sich ein weihnachtliches Gefühl breit. Zu Hause angekommen, isst sie genüsslich ihren Rana Salat - eine weitere Spiegelung hat sie nicht zu befürchten - während ihr Blick auf den Christbaum mit den brennenden Bienenwachskerzen gerichtet ist. Ein paar kleine Päckchen liegen unter den Baum. Doch das größte Geschenk hat sie schon bekommen. Nämlich bin ich wieder gesund geworden. Und sofern es das Universum zulässt, werden wir heuer ein paar Stamperl weihnachtlichen Holunderlikör gemeinsam genießen. Die Oma und ich. Frohe Weihnachten!