Die Haferlschuhe

Ferdinand F. Planegger
Christtag, 8 Uhr, Schneeregen.
Ich musste schleunigst raus aus diesem kalten Abbruchhaus, meinem Schlafplatz in diesen Tagen. Nie zuvor hatte ich so gefroren. Grund dafür waren meine kaputten Schuhe, meine Füße waren eiskalt. Trotz der fatalen Situation musste ich lachen. Es war irre, denn ich konnte das Zittern willentlich nicht abstellen, es ging nicht.
Not macht findig – mir fiel Schwester Antonia ein. Sie war Oberin in einer Senioren-Residenz und bei Obdachlosen wohlbekannt. Bei ihr bekam man in Notfällen Schuhe und Kleidung. Ich wollte nie zum Bettler werden, doch diese Weihnachten wurden zur Ausnahme. Ich stapfte schlotternd zur Pforte des Hauses. Zunächst machte ich im Vorraum ein paar Kniebeugen, um mich zu erwärmen, dann legte ich meinen Finger auf die Klingel. Die Tür ging lautlos auf und eine betagte Dame, offensichtlich eine Bewohnerin dieser Residenz, sah mich entgeistert an und rief: „Mein Gott, wie sehen Sie denn aus. Was ist denn mit Ihren Schuhen passiert?“ Ich grüßte höflich und erklärte ihr, dass ich zu Schwester Antonia wolle, um ein Paar Schuhe zu erbitten – von meinen Tretern haben sich die Sohle gelöst.
„Sr. Antonia ist krank. Warten Sie, ich komme gleich wieder“, sagte sie und verschwand so still wie sie gekommen war. Als sie zurückkam, überreichte sie mir ein Paar neue Haferlschuhe. „Sie sind von meinem verstorbenen Mann. Ich hoffe, sie passen. Es sind gute Schuhe und sicher sehr haltbar.“
„Etwas zu groß, ist aber egal”, sagte ich und schlüpfte hinein. Mit Zeitungspapier ausgestopft und schon war alles gut. „Vielen Dank, gnädige Frau, sie schickt der Himmel!“
Die elegante Dame sah mich prüfend an, zog verlegen lächelnd ein Kuvert aus ihrer Handtasche und sagte: „Ich wollte heute in der Pfarre St. Andrä eine Spende übergeben, doch jetzt steht die Not leibhaftig vor mir, also helfe ich Ihnen. Bitte nehmen Sie diese Gabe. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten.“
Die Tür fiel mit leisem Klick ins Schloss und ich stand allein da, als Beschenkter mit warmen Schuhen. Ich war der edlen Dame sehr dankbar, nicht nur der Schuhe und des Kuverts wegen, nein, auch weil sie mich mit Respekt behandelt hatte. Erst auf der menschenleeren Straße wagte ich das Kuvert zu öffnen und vergaß fast zu atmen, als ein blauer Tausend-Schilling-Schein herausblitzte. Ein Vermögen in meiner Situation. Ich überlegte, was ich tun könnte. Auf zum Bahnhof, wo sonst ist an einem Feiertag geöffnet? Ich eilte, so schnell ich konnte, durch die schneeglatten Straßen. Zuerst Zigaretten kaufen, vielleicht einen Punsch, dann Waschen und Rasieren, oder doch umgekehrt?
Als Krönung stolzierte ich in die Restauration erster Klasse, in den Marmorsaal. Zu dieser frühen Zeit waren noch wenige Gäste da. Ich bestellte ohne Hast ein Bier, tat so, als müsste ich überlegen und nahm schließlich das Fiaker-Gulasch. Sogar Stoffservietten gab es zum Gedeck. Zufrieden schaute ich in die Runde. Innerlich jubelte ich: „Schaut her, ich bin wieder einer von euch!“