Als ich das Christkind traf

dieKunstderPerspektive
An einem tief verschneiten Sonntagnachmittag. Wir sind auf dem Weg zum Christkind. Unsere Tochter Marie, 5 Jahre alt, hat einen Wunschzettel ans Christkind geschrieben. Fest hält sie ihn in der Hand. Niemand durfte ihn zuvor lesen. Niemand sollte ihre Zeichnung darauf sehen. Es ist nur für das Christkind bestimmt. Seit Tagen ist die Aufregung zu spüren. Seit Tagen der lang ersehnte Ausflug nach Christkindl. Endlich ist es so weit. Warme Mütze, Schal und Handschuhe. Dick eingepackt ist sie, unser kleiner Liebling, damit ihm nicht kalt wird.
“Wann sind wir da?”
“Wird das Christkind auf uns warten?”
“Was ist, wenn es dann schon weg ist?”
“Was ist, wenn das Postamt schon zugesperrt hat?"
“Papa, fahr schneller!”, sind Maries Worte.
Das Postamt in Christkindl verschickt jedes Jahr mit weihnachtlicher Sondermarke und Sonderstempel, Briefe in alle Welt. Marie kann es kaum erwarten. Heute ist auch das Christkind da. Sie nimmt Weihnachtswünsche entgegen.
Marie hüpft aus dem Auto und von weitem sehen wir schon das glitzernde grüne Kostüm.
“Ich wünsche mir einen Christbaum mit bunten Lichtern darauf. Rosa ist meine Lieblingsfarbe. Das wünsche ich mir, liebes Christkind. Kannst du das bitte machen?"
Das Christkind fragt: “Wünscht du dir kein Spielzeug oder Süßigkeiten?"
“Nein. Nur diesen Baum. Ich mache dann ein Foto und schicke es meiner Oma in den Himmel. Sie hat gesagt, ich soll ihr eines schicken, damit sie weiß, dass es mir gut geht. Omas Lieblingsfarbe ist grün. Vielleicht kannst du auch grüne Lichter draufmachen und Tannenzapfen und goldenes Lametta. Meine Oma mag es, wenn es glitzert und ich auch und sie kann es dann auch Opa zeigen.
Oma hat einmal gesagt, ich brauche nur an sie denken, dann ist sie gleich bei mir. Da in meinem Herzen.
Ich weiß nicht, ob Oma im Himmel auch einen Christbaum hat. Sie braucht einen, damit es ihr dort gut geht."
Das Christkind, mein Mann und ich, sehen uns an. Uns fehlen die Worte.
Berührend nimmt das Christkind den Wunschzettel entgegen und sagt: “Ich werde dafür sorgen, dass ihr zu Hause einen wunderschön geschmückten Baum mit bunten Lichtern, Tannenzapfen und goldenem Glitzerlametta habt. Und wie ist das, wenn auch ein paar Süßigkeiten darauf wären?"
Marie antwortet in erwachsenem Ton: "Das ist dann auch o.k.”
Auf der Fahrt nach Hause ist es still im Auto. Ich sehe, wie unsere Tochter mit lächelndem Gesicht und großen Augen in den Himmel hinaufschaut. Mein Mann entdeckt meine Tränen, drückt meine Hand und sagt: “Wir werden Oma heuer einen ganz besonderen Christbaum schicken.”