Leise rieselt der Schnee…

Sterner
Durch die ganze Wohnung zieht der Duft der Rindsuppe. Unser Weihnachtsessen, Würstelsuppe, köchelt sanft vor sich hin. Dankbar schlichte ich die selbstgebackenen Kekse unserer Nachbarin auf einen Teller. Leider sind ein paar Vanillekipferl gebrochen, die wandern natürlich sofort in meinen Mund. Meine ersten Kekse sind so hart geworden, man hätte damit ein Fenster zerschlagen können. Es ist der 24. Dezember 1980. Ein schweres Jahr liegt hinter uns, unsere Mutti starb im Februar und wir mussten nun allein zurechtkommen.
Papa geht zwar weiterhin brav in die Arbeit und kümmert sich um alle finanziellen Angelegenheiten, aber abends ertränkt er seine Trauer im Alkohol. So fielen mir alle anderen Aufgaben zu. Immerhin wurde ich im Mai schon vierzehn. Meine Schwester vor einer Woche vier. Wäsche waschen, kochen, bügeln, aufräumen, putzen und meine Schwester versorgen. Natürlich ging alles Mögliche schief. Angefangen von roten Socken in der Kochwäsche mit dem Ergebnis das alle Wäschestücke einen rosa Schimmer hatten. Semmelknödel, die sich im kochenden Wasser in eine Breimasse verwandelten oder Pullover, die auf wundersame Weise am Bügeleisen klebenblieben.
Ich bringe den Keksteller in das Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum seinen wunderbaren Tannenduft verbreitet. Papa ging mit meiner Schwester ins Kino, Märchenfilm anschauen. Ehrfürchtig öffne ich die erste Schachtel mit Weihnachtsschmuck. Während ich den Baum schmücke, erinnere ich mich an letztes Jahr mit Mutti. Leise weine ich in mich hinein. Wie sehr ich sie vermisse. Wenn, es wenigstens schneien würde. Sie liebte es, besonders an Weihnachten. Zwar hatten wir diesen Winter schon Schnee, aber der Regen vor zwei Tagen putzte alles weg.
Da höre ich schon den Schlüssel in der Wohnungstür. „War das Christkind schon da?!“ mit hochrotem Gesicht vor lauter Aufregung steht meine Schwester vor mir. „Nein, Spatzi, das kommt doch immer erst nach dem Essen.“ Enttäuscht zieht sie ihre kleinen Stiefelchen aus. Papa schaut mich fragend an. „Ja, ja, alles fertig.“ verkünde ich stolz. Papa teilt die Suppe aus und ich stelle noch den frischen Schnittlauch und Brot auf den Tisch. Nach dem Essen stehle ich mich heimlich ins Wohnzimmer, entzünde die Kerzen und lege die Platte von Ronny „Stille Nacht, Heilige Nacht“ auf.
„Klingeling, klingeling“ Christina stürmt herein und wir stellen uns andächtig vor dem Baum auf. Papa laufen die Tränen still übers Gesicht und Christinas Augen leuchten. Mein Blick wandert am leuchtenden Baum vorbei durchs Fenster in die Nacht hinaus. Es regnet wieder, aber es ist ein schwerer patziger Regen. Langsam, aber stetig verwandelt sich der Regen in Schneeflocken, die immer dichter fallen. Ach Mami, wie hätte dir das gefallen. Es dauert ein bisschen, aber dann fange ich an zu verstehen. Das Leben ist wie das Wetter. Auf Regen folgt Schneefall und dann wieder Sonnenschein und du Mami bist immer bei mir. In meinen Erinnerungen und in meinem Herzen.