Und plötzlich rollte der Ball

Florian Hauenschild
Es gibt eine Geschichte, die jedes Mal unglaublich erscheint, wenn man sie hört. Doch sie hat sich wirklich so zugetragen. Mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs rollte plötzlich der Ball.
Winter 1914. An der Westfront toben blutige Schlachten. Englische und deutsche Soldaten bekämpfen sich nach dem Ende der ersten Flandernschlacht weiter auf brutalste Art und Weise. Und dennoch birgt diese Tragödie eine der größten Stunden der Menschheit.
Am Weihnachtsabend schweigen plötzlich die Waffen. Stattdessen hört man die Soldaten singen. “Stille Nacht, Heilige Nacht” ist da aus den deutschen Stellungen zu hören. Auf der anderen Seite stimmen die Briten mit “Silent Night, Holy Night” ein. Trotz der Schrecken des Krieges und der saukalten Temperaturen muss sich so etwas wie ein warmes Gefühl um die Herzen der Soldaten gelegt haben.
Am nächsten Morgen wagten einige mutige Männer das Undenkbare. Sie kletterten unbewaffnet, mit erhobenen Händen aus den Schützengräben und gingen auf ihre Feinde zu. Kein Schuss fiel. Stattdessen reichte man sich die Hände und einigte sich auf eine nicht genehmigte Waffenruhe. Die letzten Soldaten kamen aus ihren Verstecken und auf einmal war so etwas wie Frieden. Schokolade, Zigaretten und Bilder von den Frauen, die Zuhause auf ihre Männer warteten, wurden herumgereicht. Menschen, die sich wenige Stunden zuvor noch beschossen hatten, standen sich gegenüber, lachten oder beteten miteinander.
Und plötzlich rollte da ein Ball. Welche Partei die Wuchtel aufs Feld brachte, ist nicht eindeutig überliefert. Aber wen kümmert das schon? Das müssen sich auch die Soldaten gedacht haben, denn diese liefen wie die Kinder dem runden Friedenstifter hinterher. Mitten auf einem Schlachtfeld im Niemandsland wurde plötzlich ein Freundschaftsspiel ausgetragen. Ohne Tore, ohne Schiedsrichter, ohne Regeln, aber mit der irrsinnigen Freude, die nur der Fußball erzeugen kann.
Dieser Friede hielt zwar nur ein paar Tage, dann zog man sich wieder in die jeweiligen Gräben zurück. Der Legende zufolge schoss ein Brite dreimal in die Luft. Eine Fahne wurde gehisst. Ihre Botschaft war “Merry Christmas”. Auf deutscher Seite wurde ebenfalls eine Fahne gehisst auf der “Thank you” stand. Die Deutschen schossen ihrerseits zweimal in die Luft. Dann war er wieder da, dieser unsinnige Krieg.
Nichtsdestotrotz muss man diesen Moment, diesen kleinen, wunderbaren Moment im größtmöglichen Gräuel als Sternstunde der Menschheit bezeichnen. Denn was ist ein Stern schon anderes als ein kleines Licht im großen Dunkel, das aber eine große Wirkung haben kann?
Diese Geschichte zeigt, welche Macht ein kleiner Ball entwickeln kann oder dass der Geist von Weihnachten selbst auf einem Schlachtfeld nicht stirbt. Und auch, dass es selbst in den bittersten Stunden Hoffnung gibt. Hoffnung auf bessere Zeiten, Hoffnung auf Frieden und vor allem Hoffnung auf Menschlichkeit.