Alternative Weihnachten

carolinski
So gesehen sind das doch angemessene Weihnachten, auf ein beschissenes Jahr folgt nun mal kein großes Fest. Normal würde ich auch nicht mit einem Glas Wein vor meinen Laptop sitzen und in die verzerrten Gesichter meiner Familie am Screen blicken. Naja eigentlich nur in einen Teil meiner Familie, meine Großeltern waren noch immer nicht in unseren Chat eingestiegen. Man konnte es ihnen auch nicht verübeln, schließlich war keiner vor Ort, um ihnen das “Hokuspokus” zu erklären, so wie es meine Großmutter zu nennen pflegte.
Sie war es auch die am meisten mit Technologie zu kämpfen hatte. Doch zu unerklärlich und misteriös erscheinen ihr die Dinger, denen sie dann doch lieber aus dem Weg geht. Gleichzeitig aber, gibt es keine einzige Zusammenkunft der Familie, bei der sie nicht von ihren heilenden Vorfahrinnen erzählt. Scheinbar sind heilende Hände, die Kühe vor der Notschlachtung bewahren, für sie greifbarer, als ihr Smartphone.
Nun endlich konnte ich sie alle sehen, vereint auf einem daumenbreiten Display. Der große Vorteil an diesem Jahr bestand aber für die Familie meines Onkels, jetzt war er nicht mehr der Einzige, der nur virtuell am Fest teilnehmen konnte, so saßen wir alle jetzt auf der Welt verteilt und doch irgendwie vereint.
Schon bald folgte der erste Prost von meinem Großvater, auf das vergangene Jahr. Für die Tradition goß sich jeder den Schnaps von Zuhause ein und es fühlte sich fast so an, wie ein ganz normales Weihnachten bei Tisch. Selbst in einem völlig ungeschmückten Raum, mit fehlendem Zauber, nur den kleinen Geschmack davon schimmernd aus dem Hintergrund des Wohnzimmers meiner Großeltern. Es ist schön, wir sehen und hören uns, nur der Kontakt fehlt. Auch Geschenke gibt es keine, nur uns.
Doch als alle getrennt an verschiedenen Orten über dieselben Geschichten lachten, sich verhöhnten und einen Rat auf den Weg mitgaben, wurde mir klar, dass dem nicht so ist. Heuer bestanden diese nicht aus materiellen Dingen, die einem kurz den Moment versüßen, sondern aus der Ewigkeit.
Solche alternative Weihnachten, wie meine Mutter auch diesen Chat den Namen gab, werden wohl so nie wieder stattfinden. Die Erinnerungen an den letzten Fehlkauf für meine Liebsten verblasst allzu schnell, seien dies die aufgezwungenen Bücher, bei denen ich dachte, sie würden sich zumindest für die Thematik interessieren, oder das gefühlt fünfhundertste Paar Socken von der Großmutter gestrickt. Zum Beweis halte ich mein Paar von letztes Jahr in die Kamera, damit sie ihr scharfer Blick inspizieren kann.
Scheinbar konnte sie sich noch genau daran erinnern und hielt mir das echte Paar vor die Linse.Nach peinlicher Stille brach sie in schallendes Gelächter aus, die Erleichterung durchzog den Chat und wir alle lachten zusammen. Ein Grund für meinen Großvater mit dem nächsten Gläschen anzustoßen, auf die kleinen Lügen des Alltags waren seine Worte, als er das Glas anhob. Für das nächste Glas brauchte es schon keinen Grund mehr.