Fahrkarte nach Bukarest

renate schiansky
Es ist Anfang Dezember, draußen sperrt der Hochnebel die Sonne aus, grau, feucht, windig und kalt kündigt sich der Winter an, und mit dem Winter naht die Weihnachtszeit. Ich halte, wenn ich unterwegs bin, nach kleinen Geschenken für meine Liebsten Ausschau und beschließe, auch ein paar Päckchen für jene zu machen, denen es nicht so gut geht wie uns. Besorge also Lebensmittel für die Obdachlosen - Tagesstätte an der Ecke und Pflegeprodukte und Malstifte für das Frauenhaus am Ende unserer Straße. Die Weihnachtsgeschenke für meine beiden Patenkinder müssen auch zur Post, der Versand dauert ja derzeit ewig. Mein Wohnzimmer verwandelt sich langsam in ein Warenlager. Ein großer Sack Winterkleidung muss zur Volkshilfe gebracht werden. Die Adventkalender für die Gabriel und Vanessa sind auch noch nicht fertig. Ein Besuch bei Mama im Seniorenheim steht an und das Wochenende vor der Türe. Jemand sollte einkaufen gehen ...
Daniel zieht sie Augenbrauen hoch, betrachtet das Chaos im Wohnzimmer, seufzt, schüttelt den Kopf, murmelt etwas von Licht ins Dunkel Spendentick, schnappt sich die Einkaufsliste und macht sich auf den Weg zum Supermarkt.
Ich stopfe die Waschmaschine voll, spüle das Frühstücksgeschirr, fülle ein zwei hübsche Boxen mit Malbüchern und Stiften, Stofftieren, Legosteinen und Schokolade, packe alles Weihnachtlich ein.
Wo bleibt Daniel? Wahrscheinlich tratscht er wieder mit dem Regalbetreuer oder der Zeitungsverkäuferin vor dem Eingang zum Supermarkt. Egal. Ich radle zur Post, dann weiter ins Seniorenheim. Mama freut sich ganz besonders, da wir uns zur Zeit ja nur einmal pro Woche sehen dürfen. Eine halbe Stunde lässt man uns plaudern, dann müssen wir Platz machen für den nächsten Seniorenbesuch.
Wieder zu Hause finde ich die Einkäufe in der Küche, von Daniel allerdings keine Spur. Langsam mache ich mir Sorgen!
Da endlich dreht sich der Schlüssel im Schloss, es rappelt m Vorzimmer und Daniel tänzelt herein, leichtfüßig wie selten. Ich sehe ihn fragend an, er grinst ein wenig schief. Er hätte mit der Zeitungsverkäuferin getratscht, erzählt er, wäre dann nach Hause marschiert, aber das Gespräch wäre ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Also hat er kurzerhand 200,- Euro in ein Kuvert gesteckt - „damit sie nach Hause fahren kann, zu ihren Kindern“ - und ist noch einmal los zum Supermarkt.
Daniel ist eben, wie er ist. Und eben darum liebe ich ihn.
Ob die Zeitungsverkäuferin mit dem Geld wirklich nach Hause gefahren ist, weiß ich übrigens nicht. Aber ich habe sie seit ein paar Tagen nicht mehr vor dem Supermarkt stehen gesehen.