Der Josef geht ab

Herbert Nill
Jedes Jahr kaum erwartet und fast eine feierliche Zeremonie für die ganze Familie: Es wird wieder die Weihnachtskrippe aufgestellt. Der Vater holt sie vom Dachboden herunter. Immer gibt es eine Kleinigkeit zum Herrichten und Ausbessern. Neues Hirschheiderich muss wieder auf die Bäume, eine frische Einstreu schadet auch nicht, und die abgewetzten Stellen werden überpinselt. Zum Figuren aufstellen kommen dann alle zusammen. Die Könige bleiben noch in der Schachtel, die werden noch nicht gebraucht. Als Erste kommen Ochs und Esel hinein, weil nachher kommt man nicht mehr dazu. Der Esel links, hinter der Maria und der Ochs auf der rechten Seite, hinter dem Josef. Die Hirten und ihre Schafe und Ziegen kommen auf die linke Seite, das Volk und später die Könige auf die rechte, die Josefseite. Die Kinder dürfen alle Tiere auf die Krippe stellen. Das dauert etwas, denn es gibt die eine oder andere Unstimmigkeit, wo diese stehen sollen. Ein Schaf hat nur drei Füße, da muss der Opa schnell einen Fuß nachschnitzen. Die Eltern kümmern sich um die anderen Figuren. Die Hirten werden aufgestellt, die Händler und das Volk. Opa montiert den Stern und der Oma bleibt die Hl. Familie. Die Krippe, links die Maria und der Josef. Ja, wo ist der Josef? Jetzt geht die Sucherei los. Haben wir ihn im vergangenen Jahr überhaupt in die Schachtel gegeben? „Ich glaube schon,” brummt der Großvater. “So sicher bin ich mir da nicht, du, wo du schon alles vergisst," kreischt die Mama. Mit gespielter Gelassenheit meint der Vater: “Wenn wir ihn gar nicht mehr finden, dann nehmen wir eben einen Hirten als Josef.” Jetzt wird es aber der Oma zu bunt. “Wie stellst du dir das vor, neben der Krippe der Josef mit einer Flöte oder einem Schaf auf dem Rücken oder mit einer Milchkanne in der Hand. Aber der da würde gehen, der kniet so nett.” Da reißt aber dem Großvater die Hutschnur und er räsoniert: „Ihr mit eurer Gleichberechtigung, gut und schön, aber dass mir der Josef vor der Maria kniet, kommt nicht infrage." “Schau, die Maria schaut schon ganz traurig, weil der Josef nicht da ist,” meint Olivia. “So ein Blödsinn”, kontert Max, “aber schaut, was unser Kater im Maul hat, den Josef. Und die Oma hat, wie immer, das letzte Wort. ”Zum Mäuse fangen taugt er nicht mehr, aber zum Zeug vertragen ist er noch fähig."