Einmal Glöcklerin sein …

Lia Pipa
Oh wie aufregend! Rund um das Mädchen herrscht noch tiefste Finsternis, als es um 5 Uhr früh aufgeweckt wird. Es ist so weit: der 5. Jänner und somit Glöckltag. Draußen pfeift der eisige Wind ums Haus der Großeltern. Der Winter zeigt sich von seiner unbarmherzig, frostigen Seite. Gerade deswegen ist es besonders wichtig, dass die Kleine ordentlich warm eingepackt ist. Über die lange Unterhose, kommt eine lange Strumpfhose, darüber eine lange Hose. Obenrum verhält es sich nicht anders: Unterleiberl, dünner Pullover, dicker Pullover und letztendlich noch ein Schianzug in schweinchenrosa. Diese Farbe versteht sie später als Erwachsene beim besten Willen nicht mehr. Doch das weiß sie jetzt noch nicht. Ein bisschen fühlt sie sich wie ein Michelin-Fräulein. Aber es ist kalt. Eisig kalt. In der Steiermark. Darum braucht es vor dem Steigen in die warm-gefütterten Winterstiefel auch ganze zwei Paar Socken. Während die Oma der Fünfjährigen den Schal und die dicke Mütze überzieht, stärkt sie sich noch mit heißem Kakao und einem Bauernkrapfen zum Frühstück. Sie kann es kaum erwarten endlich loszugehen. Zum Schluss suchen sich noch die Hände ihren Weg in die warmen Lammfellhandschuhe, bevor die Kuhglocke und der Leinenbeutel umgehängt wird und es raus in den Schneesturm geht.
Ihre kleine Freundin steht, samt Eltern, schon vor der Türe. Ebenfalls dick eingemummelt in einen Schianzug. Auf dem Kopf hat sie eine Haube, mit der sie ein bisschen aussieht wie ein Eichhörnchen. Auch sie trägt die obligatorische Glocke und den obligatorischen weißen Sack. Gemeinsam treffen sie sich mit der anderen Kinderschar und starten ihren beschwerlichen, langen Weg. Quer durch die verschneite Ortschaft. Abgelegene Wege gehen sie entlang, durch Wälder über Wiesen und meterhohe Schneedecken stapfen sie. Von einem Haus zum anderen mögen diese auch noch so weit auseinanderliegen. Alte Bauernhäuser und -Höfe werden genauso aufgesucht, wie kleine unscheinbare Hütten oder große Residenzen und Anwesen. Die Kinder trotzen dem eisigen Wind, der ihnen ins Gesicht weht, prusten den Schnee von den Lippen und reiben ihn sich immer wieder von den Wimpern, wenn er ihnen die Sicht nimmt.
Vor jeder Tür beginnen sie laut mit ihren Glocken zu läuten und sagen: "Bitt’ goar schön um an Glöcklkrapfen! Loßts mi net länger no im Schnee umståpf'n!" Von den Bewohnern der Häuser bekommen sie nun ihre Säcke gefüllt: mit Mandarinen, Krapfen, Nüssen, Äpfeln, Schokoladen, anderen Süßigkeiten und teilweise auch Geld. Sie verabschieden sich mit einem lauten “Vergelt's Gott” bevor sie zum nächsten Haus weiterziehen. Erst spät abends kommt das Mädchen erschöpft und glücklich wieder im Haus ihrer Großeltern an. Die Ausbeute ist reichlich, der Beutel ist voll. Laut altem Brauch überbringen die Glöckler Glück für das neue Jahr. Wie stolz ist sie, dass sie zum ersten Mal mit den anderen Kindern im Ausseeerland mitgehen durfte. Wie schön, dass sie den Menschen Glück bringen darf.